Ausblick und Resümee
Die Utopie Bacons mittels der Wissenschaft ein Paradies auf Erden zu schaffen wird Fiktion bleiben. Die Wissenschaft kann der gesamten Gesellschaft von Nutzen sein - sofern die unterschiedlichen Gruppierungen innerhalb der Gesellschaft dies auch zulassen. Die Wissenschaften können in ihrer Entwicklung der Gesellschaft vorangehen, nicht aber sich von der Gesellschaft abkoppeln. Bacons Utopie „Neu-Atlantis“ zeichnet eine Gesellschaft vor, deren hohe ethische Ansprüche von allen Mitgliedern der Gesellschaft er füllt werden. Nur aus diesem Grund sind all die wundersamen Erfindungen der Wissenschaftler dort so unproblematisch.
Bacons Idee einer universellen „caritas“ ist zwar ein begrüßenswertes Denkmodell, jedoch dürfte man sich klar darüber sein, daß nicht unbedingt jedes Mitglied der Gesellschaft dieses Ziel tatsächlich aus freien Stücken mitverfolgen wird.
Es reicht bei weitem nicht aus von dem Wissenschaftler allein die moralische und ethische Integrität zu fordern. Das hatte auch Bacon bereits schon vor langer Zeit erkannt. Die Harmonisierung (bzw. zumindest die Verständigung über Präferenzen und Interessenverteilungen) der Gesellschaft erlaubt den nutzbringenden Einsatz der Wissenschaft für die gesamte Gesellschaft. Dieser Schluß ist in gewisser Weise eine Tautologie, denn selbstverständlich kann genau dann gemeinsam darüber entschieden werden, ob eine Technik nützt, wenn zuvor darüber gemeinsam entschieden wurde was als nützlich zu betrachten ist. Gleichzeitig ist Bacons Technikgläubigkeit einzuschränken:
„Der Optimismus freilich, der Bacons praktische Orientierung
inspirierte, verdient ein Ernüchterung und Zurücknahme. Nur unter der
Aufnahme entsprechender Provisos läßt sich am Projekt der Moderne im
Sinne von Bacon festhalten.“
Hinzugefügt werden muß, daß letzten Endes jedoch der
menschlichen Gesellschaft gar keine andere Alternative mehr bleibt als das
Projekt der Moderne weiterzuverfolgen und wo notwendig zu korrigieren. Denn
niemand würde bereit sein auf die Errungenschaften d er modernen Technik zu
verzichten - und sei es nur der Kühlschrank oder der Fernseher.
Die Gefahr des Baconischen Programms liegt nicht nur in der
Größe des Erfolgs, sondern vielmehr auch darin wie die Früchte
des Erfolgs aussehen und verteilt sind. Moderne Technik eröffnet z.B. die
Möglichkeit der vollautomatisierten Fabrik und in der Fortführung die
vollautomatisierte Produktion. Kein Mensch wird stumpfsinnige Arbeit am
Fließband verrichten müssen, da solche Aufgaben von Robotern
verrichtet werden. Soviel zu der einen Seite der Medaille. Kein Mensch wird durch
manuelle Arbeit seinen Lebensunterhalt am Fließband verdienen, da solche
Aufgaben ebenfalls von Robotern verrichtet werden. Das ist die andere Seite der
Medaille. Bacon hielt es für möglich alle Effekte der Wissenschaft, so
auch die sozialen Implikationen, im vorhinein zu bestimmen. Das ist in einem
komplexen sozialen System so gut wie ein Ding der Unmöglichkeit.
Für die Zukunft entscheidender erscheint die Frage nicht über was
entschieden wird, sondern wer darüber entscheidet. In
„Neu-Atlantis“ besaß das Haus Salomons die alleinige
Entscheidungsfreiheit. Für die Gesellschaft Bensalems war dieser Punkt
unkritisch, da ja alle Menschen die gleichen Werte und Zielvorstellungen
haben sollten. Anders sieht es natürlich heute in den tatsächlich
existierenden Gesellschaften aus. Grundsätzlich wird von jedem Anhänger
demokratischer Grundordnungen eine Institution wie die de s Hauses Salomons
abgelehnt werden, da die Gefahr des Machtmißbrauchs ständig latent
vorhanden ist. Faktisch muß bereits heute ein gewisses Vorrecht der
Wissenschaftler akzeptiert werden Belange der Menschen über den Umweg der
Politik (z.B. das Verbot der Produktion von FCKWs) zu regeln. Von Bacon wurde
dies voll und ganz unterstützt.
Letztlich mündet die Problematik eines partiellen Wissendefizits der
Nicht-Wissenschaftler in eine Art Paradoxon: In einer Demokratie sollen alle
Bürger die Politik ihres Landes direkt oder indirekt durch Parteien
mitentscheiden können. Andererseits besitz en in einer
Informationsgesellschaft einige Personen oder Gruppen einen deutlichen
Wissensvorsprung, der sie dazu befähigt anstehende politische Entscheidungen
in ihrem Sinne zu regeln. Die Schlußfolgerung lautet daher: Entweder wird
das Informationsgefälle abgebaut, oder aber die Demokratie entwickelt sich,
wie in „Neu-Atlantis“ dargestellt, zu einer Wissensaristokratie. In
welche Richtung die tatsächliche gesellschaftliche Entwicklung weiter
fortschreiten wird, bleibt offen.
Wir haben gesehen: Die Forschung ist abhängig von gesellschaftlichen
Zugeständnissen, seien es unmittelbar die notwendigen Geldmittel, wie auch
der institutionalisierte Rahmen derselben. Umgekehrt beeinflussen in zunehmendem
Maße Forschungsergebnisse die politischen Entscheidungen.
Neben der Popularisierung der modernen Wissenschaften kommt Bacon auch der Verdienst zu, den Zusammenhang von Wissenschaft und Gesellschaft schon lange vor dessen faktischer Relevanz erkannt zu haben. Auch diese Weisheit ist somit nicht neu. Wie sagte schon Salomo: „Es gibt nichts Neues unter der Sonne“...
Titelbild der „Instauratio
Magna“ in der Erstausgabe von 1620