Die Auswirkungen auf die Moderne
Unzweifelhaft zeigt sich heute Bacons Wirkung auf die Entwicklung der modernen Wissenschaften. Obwohl die induktive Methode in der Weise wie sie Bacon vertreten hatte, als längst überholt gilt, gibt es heute in vielfältiger Weise Verfahren, die mit Hilfe v on Statistiken versuchen zukünftige Ereignisse zu prognostizieren. Die experimentelle Methode hingegen hat nach wie vor Bestand und gilt als die anerkannte Methode um Gesetzmäßigkeiten zu überprüfen. Essentieller ist jedoch die Folgewirkung auf die gesellschaftliche Entwicklung in der Neuzeit. Im Folgenden werden beide Aspekte - die direkte Wirkung auf die Entwicklung der Wissenschaften und die indirekte Beeinflussung der gesellschaftlichen Entwicklung näher untersucht werden.
Der Einfluß auf die Wissenschaft
Die Gründung der Royal Society im Jahr 1660 demonstriert in klarer Weise wie Bacon von seinen unmittelbaren Nachfolgern gesehen wurde. Er wird allgemein verehrt und die Wissenschaftler der Royal Society sehen sich ihm und dessen wissenschaftlichen Programm verpflichtet.
Zusammen mit dem ersten
Präsidenten der Royal Society sitzt Bacon (rechst im Bild) vor der
Büste von Karl II.. Bacon ist für die Gründungsmitglieder
der Royal Society ein Vorbild, dem nachzueifern ist. Bildlicher als auf dem
Titelblatt der „History Royal Society“ von Thomas Sprat kann die
Wertschätzung Bacons kaum dargestellt werden. In ähnlicher Weise wird
die Hochschätzung Bacons auch verbal zum Ausdruck gebracht.
In einer Ode zu Ehren Bacons trägt Abraham Cowley die folgenden Verse vor::
„From these and all long Errors of the way,
In which our wandring Predecessors went,
And like th`old Hebrews many years did stray
In Desarts but of small extent,
Bacon, like Moses, led us forth at
last,
The barren Wilderness he past,
Did on the very Border stand
Of the blest promis´d Land,
And from the Mountains Top of his Exalted Wit,
Saw it himself, and shewed us it.“
Die Analogie zu Moses zeigt die Aufbruchsstimmung, welche in der Royal Society
geherrscht haben muß. Man erobert Neuland unter der Führung Bacons.
Die Zukunft wird optimistisch angegangen. Die „neuen“ Wissenschaftler
der Royal Society erwarteten viel mit Bacons neuen Methoden erreichen zu
können. Die Aufgabe der Royal Society ist es die Wissenschaften nach
Möglichkeit zu fördern. Im Gegensatz zum Haus Salomons verfügt die
Royal Society nicht selbst über Forschungseinrichtungen. Sie berät
hingegen offiziell die britische Regierung in allen Forschungsangelegenheiten.
Bacons Intention wurde zu großen Teilen beinahe buchstäblich in die
Praxis umgesetzt.
Die Ziele und Aktivitäten der Royal Society
- Recognizing excellence in science and its application, through elections to the Fellowship, Medals, Awards and Prizes.
- Promoting independent, authoritative advice, notably to Government, on science and engineering-related matters, and informing public debate, through studies, submissions and reports.
- Encouraging research and its application through research fellowships and grants to individual scientists, and disseminating the results of research through meetings, lectures, exhibitions and publications.
- Fostering public understanding of science, and promoting science education and awareness.
- Supporting international scientific exchange and international scientific relation.
- Providing resources for, and encouraging, research into the history of science.
-
Acting as a forum and focus for discussion of issues relating to the wider scientific community.
Einige Punkte lesen sich wie Auszüge aus dem „Neuen Organon“,
bzw. „Neu-Atlantis“. Insbesondere der Gedanke Bacons Forschungen
voranzutreiben und die Ergebnisse für alle nutzbar zu machen, wird in den
Zielen deutlich herausgestellt. Besonders bemerkenswert ist die Tatsache,
daß noch nach 300 Jahren die ursprünglichen Gedanken Bacons das
Selbstverständnis der Royal Society prägen.
Die Darstellung, sowie die Begründung ihrer wissenschaftlichen
Methoden und die Abgrenzung zur Scholastik hin folgen Bacon auf dem Fuß:
„The Royal Society was founded in 1660 by a number of scholars,
including Christopher Wren, Robert Boyle and Robert Moray. Meetings to discuss
the then new experimental philosophy (which challenged the widely held view that
the writings of the great classical philosophers were the one fountain of wisdom)
had been held since 1645 in London and Oxford. King Charles II granted the
Society its first Charter on 15 July 1662. The motto 'Nullius in verba', taken
from Horace, expresses the determination of early Fellows to verify all
statements by an appeal to facts.“
Mit Isaac Newton hatte die Royal Society einen sehr berühmten, aber auch
problematischen Vertreter. Newton hatte Erfolge in der Mathematik, Astronomie und
in der Physik vorzuweisen. In gewisser Weise gilt Newton sogar als der Vater der
theoretischen Physik . Wie kein anderer verstand es Newton wichtige Erkenntnisse
anderer Forscher für sich selbst zu nutzen. Mehrfach geriet Newton daher
auch mit anderen Wissenschaftlern in einen Streit. Newton wurde 1703 von der
Royal Society zu ihrem Präsidenten gewählt. Das Amt nutze er sofort um
John Flamsteed zu einer schnellen Publikation von dessen Mondbeobachtungen zu
zwingen. Flamsteeds Beobachtungen konnten nämlich Newtons Gravitationslehre
empirisch belegen. Im Gegensatz zu Bacons Vorstellung, daß die Forscher
gemeinsam die Wissenschaften voranbringen sollten, wird von Newton oft ein Bild
des ruhmsüchtigen, egoistischen Wissenschaftlers gezeichnet, der sich
teilweise auf Kosten anderer Forscher profilierte.
So erfolgreich die Forschungen der Royal Society selbst auch waren, blieben sie
dennoch hinter den von Bacon ursprünglich geäußerten Erwartungen
zurück. Die Umsetzung der Erkenntnisse in für den Menschen
nutzbringende Technik verlief schleppend. Erst die einsetzende, industrielle
Revolution beinahe zwei Jahrhunderte später zeigte, daß Bacons Ideen
in Teilbereichen umsetzbar sind.
Ein Problem mit der unabhängigen Forschung, bzw. das Problem, daß Forschung in der Realität eben gerade nicht unabhängig ist, hatte schon die Royal Society, welche feststellen mußte, daß sich eine Forschergemeinschaft nicht einfach den real existierenden gesellschaftlichen Zwängen entziehen kann, sondern sich entweder den Ansprüchen des gerade amtierenden Herrscher entgegenstellt oder sich mit diesem arrangiert. In der Folgezeit entschied sich die Royal Society dafür im guten Einvernehmen mit den amtierenden Herrschern die Forschungen voranzutreiben. Zumindest die finanzielle Unterstützung war dadurch gesichert.
Ähnliche Einrichtungen wie die Royal Society wurden zeitverzögert in den anderen Ländern Europas eingeführt. Allen Forschungseinrichtungen gemeinsam war zunächst ihre Abhängigkeit von der jeweils herrschenden politischen Instanz.
Hierin zeigt sich auch die Differenz zur Baconischen Idee: Die politisch unabhängige Wissenschaft bleibt eine Utopie Bacons. Die Ziele, welche Bacon für die Wissenschaft vorgesehen hatte, fanden nur geringe Akzeptanz.
Im Gegensatz dazu fand die experimentelle Methode Bacons eine weite Verbreitung. In etlichen Einleitungen zu wissenschaftlichen Aufsätzen, bzw. Dankesreden zur Einrichtung wissenschaftlicher Stätten wird besonders auf die Wirkung Bacons hingewiesen. Ähnlich argumentiert auch Farrington, wenn er auf die über 300-jährige Wirkungsgeschichte Bacons verweist. Die induktive Methode Bacons fand lange Zeit ebenfalls regen Zuspruch. Sie hatte vor allem den Effekt, daß alle Ereignisse wesentlicher genauer als vorher protokolliert wurden und das empirische Faktenwissen deutlich zunahm.
Einschränkend muß man jedoch festhalten, daß Bacon und seine Methoden gegen Ende des 19. Jahrhunderts von einigen Wissenschaftlern scharf angegriffen wurde. Insbesondere seine Methodenlehre der Induktion wurde als unhaltbar verurteilt. Nichts desto weniger gebührt Bacon die Anerkennung für die Popularisierung der Wissenschaften. Unter diesem Aspekt muß Bacons Wirkung auf die modernen Wissenschaften gesehen werden. Die Herauslösung der Wissenschaften aus dem reinen Gelehrtenbetrieb des Mittelalters und die U mformung in neue Forschungsinstitutionen sind die kennzeichnenden Elemente seiner Wirkungsgeschichte. Die Neustrukturierung der Wissenschaften ermöglichte den praktikablen Zugriff zu einer industriellen Verwendung des neuerworbenen Wissens.
Aus heutiger Sicht ist die Verwendung der experimentellen Methode in den
Naturwissenschaften eine Selbstverständlichkeit. Auch wenn einige
Wissenschaftler sich dagegen sträuben mit Bacon in einem Atemzug genannt zu
werden, zeigt sich doch, daß Bacons Verständnis von Wissenschaft nach
wie vor weitgehendst Zustimmung findet.
Bacons Visionen und die gesellschaftliche Entwicklung
Neben der unbestreitbaren Wirkung auf die Naturwissenschaften hatte Bacon auch gewissen Einfluß auf die Geistes- und Sozialwissenschaften. Der letzte Sekretär von Bacon, Thomas Hobbes schrieb mit dem „Leviathan“ ein Werk, welches heute nicht nur ein Klassiker der politischen Ideengeschichte ist, sondern nach wie vor vielfach kontrovers diskutiert wird. White sieht Hobbes in der Tradition Bacons. Es lassen sich jedoch auch gegenteilige Meinungen feststellen. Argumentiert wird, daß Bacon sich ja in erster Li nie mit den wissenschaftlichen Methoden, aber nicht so sehr mit sozialpolitischen Fragen befaßt hätte. Hobbes hätte demnach seine politische Theorie unabhängig von Bacon entwickelt. Diese These läßt sich nur durch Ignorieren zahlreicher Textstellen bei Bacon halten. Wie schon in den früheren Kapiteln demonstriert, lautet eine Grundthese Bacons, daß Unruhen den Staat zerstören und das Leben des Einzelnen bedrohen. Die Konzeption von „Neu-Atlantis“ stellt dem Leser zunächst einen starken Souverän vor, der seine Souveränität an eine Verfassung übergibt. In den „Essays“ hebt Bacon hervor, daß der König, bzw. die Regierung stark sein müsse um Unruhen zu vermeiden. Hobbes hat ganz eindeutig diese Gedanken Bacons aufgegriffen und systematisiert. Er hat dies in einer Weise getan, welche ebenfalls Baconischer Prägung ist. Hobbes führt seine Begründungen kausal auf einige Prämissen zumeist anthropologischer Art zurück, genauso wie es Bacons Methode fordert.
Nachhaltiger und unmittelbarer wirkten Bacons Anschauungen in den Statuten der Royal Society fort. Neben den wissenschaftlichen Erfolgen, welche bereits im letzten Kapitel dargestellt wurden, hatte die Royal Society auch in hohem Maße gesellschaftlichen Ei nfluß. Die zahlreichen Expeditionen, welche durch sie gestiftet wurden, führten durch viele Gebiete Afrika und Asiens, die zuvor nur als weiße Flecken auf der Landkarte eingetragen waren. Ganz nebenbei wurden große Rohstoff-, Gold- und Diamantenvorkommen g efunden. Die Entdeckungen zogen schnell das Interesse einzelner Abenteurer wie das ganzer Staaten auf sich. Der europäische Kolonialimperialismus wurde in gewisser Weise erst durch diese Expeditionen ermöglicht.
Eine enge Verbindung von Forschung und Politik gibt es auch in „Neu-Atlantis“. Bacons Vorstellung ist es jedoch, daß die Wissenschaftler unabhängig und unbehelligt von der Regierung nach neuen Erkenntnissen streben. Die besondere Freiheit der Wissenschaft ler ist es darüber zu entscheiden, was für den Staat gut oder schlecht ist. Diese Entscheidungsmöglichkeit wurde den Forschern spätestens dann genommen, als den Herrschenden klar würde, daß technologischer Vorsprung Zuwachs an Macht bedeutet. Die allerseit s schmerzlich gemachten Erfahrungen der modernen Kriegsführung zeigen wohin das Bestreben nach militärischer Überlegenheit auf der Basis neuer Technologie führen kann. Die Entwicklung moderner Waffen ist symptomatisch für den Entzug der Entscheidungsfreiheit des Wissenschaftlers. Es wird den Forschern vorgeschrieben nach was sie zu forschen haben. Die moralischen und ethischen Forderungen an den Forscher bleiben dabei zumeist auf der Strecke.
Bacons Konzeption von Wissenschaft sieht sich daher nur zum Teil realisiert: Zum Einen werden Forschungsinstitute eingerichtet, welche sich an Bacons experimentellen Methoden orientieren. Zum Anderen verletzt die realisierte Form der anwendungsorientierten Wissenschaft (im Sinne der von außen vorgegebenen Ziele) die Zielsetzung Bacons, das Leben der Menschen zu erleichtern und zu verbessern. Faktisch heißt es jetzt, daß die Politik die Forschung bestimmt und nicht (wie es Bacon gerne hätte) die Forschung die Politik ausrichtet. Ein typisches Beispiel dafür sind sogenannte „unabhängige“ Untersuchungen zu realen Problemen, welche von politischen Parteien in Auftrag gegeben werden. Seltsamerweise findet sich sehr oft die jeweils herrschende Meinung im nachhinein bestätigt. Gleiches gilt jedoch auch für die Gegenpartei. Beide Gruppen sehen ihren jeweiligen Problemlösungsansatz wissenschaftlich untermauert. Bacons Ansatz wäre gewesen, daß die Forscher das Problem identifizieren und mögliche Lösungsalternativen beschreiben, um diese anschließend zur Bearbeitung an die Politiker weiterzugeben.
Die Instrumentalisierung der Wissenschaft wird vielfach überhaupt nicht in Frage gestellt, sondern schon quasi als gegeben, bzw. erwünscht anerkannt. So schreibt Crowther, der sich ausführlich einzelnen Personen der englischen Wissenschaftsgeschichte widmet und den Niedergang der britischen Forschung beklagt:
„If the British scientists of the last century and a half had been living within an adequate scientific order, Britain today might not have become a second-class power.“
Auch ihm scheint wohl wenig an dem Fortschritt der Wissenschaften per se zu liegen oder an der Beförderung des menschlichen Glücks. In seinen Augen hat das Instrument „Wissenschaft“ an Schärfe verloren und dieses führt zu einem bedauerlichen Machtverlust des britischen Staats. In seinen Augen soll die wissenschaftliche Forschung eher so etwas wie der Erfüllungsgehilfe nationalstaatlicher Interessen sein.
Jonas nimmt die umgekehrte Position zu Crowther ein. Er verurteilt Bacons Programm gerade weil er meint, daß Bacon eine nicht legitimierte Instrumentalisierung der Wissenschaft vornimmt:
„Was wir das Baconische Programm nennen können, nämlich das Wissen auf Herrschaft über die Natur abzustellen und die Herrschaft über die Natur für die Besserung des Menschenloses nutzbar zu machen, hat zwar in der kapitalistischen Durchführung von Anfang an weder die Rationalität noch die Gerechtigkeit besessen, mit denen es an sich vereinbar gewesen wäre; aber seine notwendig zur Maßlosigkeit der Produktion und des Konsums führende Erfolgsdynamik hätte bei der Kurzfristigkeit menschlicher Zielsetzung, ja der wirklichen Unvorhersehbarkeit der Ausmaße des Erfolgs, vermutlich jede Gesellschaft überwältigt (denn keine besteht aus Weisen).“
In der Jonaschen Kritik sind zwei Einwände grundsätzlicher Art enthalten. In anderen Worten könnten seine Einwände so lauten:
- Nichts legitimiert den Menschen dazu sich die Natur zu unterwerfen und dem eigenen Gutdünken nach dienlich zu machen
-
Der Mensch ist nicht in der Lage qua seiner Grundstruktur ein solches Baconisches Programm zu bewältigen
Der erste Punkt wird und muß strittig bleiben. Normative Ordnungen sind weder beweisbar noch können sie widerlegt werden. Aus Bacons Perspektive war sein Programm sehr wohl durch eine christliche Ethik legitimiert. Bacons Idee von Wissenschaft ist gerade eben nicht wertfrei, sondern im Gegenteil stark bewertend. Es ist ein biblischer Rahmen für die gesamte Wissenschaft vorgegeben. Natürlich kann in theologischer Hinsicht darüber diskutiert werden, ob sich Bacons Position tatsächlich durch die Bibel stützen läßt. Bacon verstand die Wissenschaft immer instrumentell im Sinne eines Mittels zur Erreichung bestimmter normativer Ziele, welche dem christlichen Glauben entsprangen. Hier sei nochmals an den Gedanken der „caritas“ erinnert. Der Hinweis von Jonas auf die Fehlversuche der sozialistische Gesellschaften, welche versucht haben Gleichheit und Gerechtigkeit für alle zu schaffen, geht in die Irre. Die Ziele sind in der Baconischen Utopie immer von außen (von Gott) vorgegeben, bei Marx und den sozialistischen Gesellschaften werden Ziele der Gesellschaft emergent verstanden. Insofern ist es also unsinnig Bacon mit für die Entstehung menschenverachtender Systeme zu machen, da gerade Bacon selbst deutlich hervorhebt wie wichtig es ist, zunächst eine normative Ordnung zu haben, welche das Leben der Menschen sichert.
Der zweite Einwand von Jonas beruht auf der Prämisse, daß der Mensch fehlbar ist und nicht in der Lage ist die Komplexität der Welt in seiner Gänze zu verstehen. Diesen Punkt kann Jonas noch stärken:
„Die Katastrophengefahr des Baconischen Ideals der Herrschaft über die Natur durch die wissenschaftliche Technik liegt also in der Größe seines Erfolgs.“
So gewendet, hat Jonas einen entscheidenden Schwachpunkt der Baconischen Konzeption getroffen. Die resultierende Dynamik aus der Forschung, wie sie Bacon propagiert, wird immer schneller Ergebnisse hervorbringen, die in ihrer Wirkung zunächst nicht oder nu r unvollständig absehbar sind. Durchaus positive Erfindungen können fatale Langzeiteffekte haben. Ein modernes Beispiel ist die Herstellung von Fluorchlorkohlenwasserstoffen (kurz: FCKW), welche in den westlichen Ländern mittlerweile verboten ist. An sich hat FCKW einige hervorragende Eigenschaften: Es ist unbrennbar, ungiftig, geruchs- und geschmacksneutral und besitzt eine geringe Wärmeleitfähigkeit. Kurzum: FCKW war ein ideales Gas um sich in vielerlei Anwendungsgebieten einsetzen zu lassen. Wie wir all e wissen ist der Kühlschrank eine Segnung für die Menschheit - FCKW hat ihn als Massenprodukt ermöglicht. Leider hat man erst Mitte der siebziger Jahre herausgefunden, daß dieses Gas als sogenannter „Ozonkiller“ wirkt und letztendlich für die Zerstörung d es natürlichen Schutzes vor UV-Strahlen verantwortlich gemacht werden muß. Hautkrebs und vielerlei sonstige Krankheiten sind die Folge. Eine massive Beeinträchtigung der natürlichen Lebensbedingungen in der südlichen Hemisphäre und die allerorten bereits h eute bemerkbaren Auswirkungen auf die Gesundheit führten schließlich zu dem Verbot der Produktion von FCKWs.
Jonas sieht nun in Bacon ein Befürworter eines Programms, das genau zu den eben beschriebenen Folgen führen kann. Der Mensch beraubt sich durch seine Anmaßung der eigenen Lebensgrundlagen geboren aus einer Hybris der Wissenschaft.
In „Neu-Atlantis“ werden von Bacon immer nur positive Entwicklungen beschrieben. Der Gedanke, daß Wissenschaft auch unbekannte, negative Effekte auf die menschlichen Lebensbedingungen als Nebenfolge haben könnte, scheint Bacon überhaupt nicht gekommen zu s ein. Bacon konnte sich zu seiner Zeit auch kaum ausmalen können, welche Folgewirkungen der Einsatz moderner Technik haben könnte. Dazu gab es einfach zu wenige, konkrete Negativerfahrungen.
Andererseits muß man Jonas entgegenhalten, daß die einzige,
sichere Möglichkeit potentielle Gefährdungen der Umwelt -
bedingt durch den Einsatz neuer Technologien - zu vermeiden, nur durch einen
grundsätzlichen Verzicht auf eben den Einsatz neuer Technolog ien
möglich wird. Das Problem, daß eine neue Technik ungeahnte
Folgeprobleme nach sich ziehen kann, existiert notwendigerweise. In dem Moment,
in dem eine neue Technik in einer Gesellschaft zum Tragen kommt, können die
Probleme erst erkannt werden. Dann k a nn es aber eigentlich bereits schon wieder
zu spät sein, um geeignete Gegenmaßnahmen zu ergreifen.
Die Technikfolgenabschätzung ist in aller Politiker Munde. Die
gesellschaftliche Relevanz des Themas hat sich durch mehrere Fälle (wie z.B.
das FCKW-Problem) im Bewußtsein der Bevölkerung verankert. Es wird
teilweise der Öffentlichkeit suggeriert, daß eine
„richtige“ Form der Wissenschaft potentielle Nebeneffekte
auschließen kann.
Die Frage nach der „richtigen“ Wissenschaft dominiert viele
Probleme der modernen Gesellschaften. Insofern kann Bacon als eine Leitfigur der
Moderne gelten:
Die Wissenschaft wird zu einem Element, das wesentlich die Gesellschaft beeinflußt und steuert. Als angewandte Wissenschaft ist sie jedoch Fluch und Segen zugleich. Vergegenwärtigt man sich die Erfindungen, welche Bacon in „Neu-Atlantis“ beschreibt, stellt man fest, daß die meisten technischen Errungenschaften mittlerweile realisiert sind. Ganz anders hingegen sieht es mit dem sozialen Fortschritt aus. Wohl haben sich die europäischen Staaten zu Demokratien gewandelt und zumindest die Rechtsgleichheit ist i n weitesten Teilen in den Verfassungen verankert. Dennoch existieren soziale Konflikte, welche zumeist aus Verteilungskämpfen resultieren. Die „idealen“ Menschen Bensalems kannten in Bacons Utopie solche Probleme nicht mehr. Die auf der Idee der „caritas“ aufgebaute Gesellschaft Bensalems hatte die Verteilungsproblematik bereits überwunden. Bacon hatte dieses Problem schon zu seiner Zeit erkannt und mittels seiner ethischen Konzeption, bzw. Grundordnung in „Neu-Atlantis“ gelöst. Faktisch stehen die heutige n Gesellschaften genau vor demselben zu lösenden Problem einer allseits akzeptierten Ethik, welche das Problem konkurrierender, individueller Interessen zwar nicht unbedingt lösen, aber doch zumindest mildern könnte. So würde sich auch Bensalem vor dasselb e Problem gestellt sehen, wenn die Bürger beginnen würden persönliche Interessen, welche dem Allgemeinwohl entgegenstehen, zu äußern.
Insbesondere wenn Wissenschaftler primär die eigenen, egoistischen Interessen verfolgen, anstatt sich am Baconischen Ideal des „guten“ Wissenschaftlers zu orientieren, können die Forschungsergebnisse für die Menschen geradezu verheerend sein. Die Gier nach Geld, Macht oder Anerkennung hat schon manchen Forscher dazu veranlaßt Erfindungen an Dritte weiterzugeben, welche nicht unbedingt das Wohl der Menschen im Auge hatten. In dem Moment, in dem Wissenschaft instrumentalisiert wird und ihren kontemplativen Ch arakter verliert, ergibt sich notwendigerweise auch die Möglichkeit des Mißbrauchs. Dieses Problem haben die meisten - um nicht zu sagen alle - modernen Gesellschaften.