Die Wissenschaft - die Lösung der menschlichen Probleme

Bacons Verständnis von Wissenschaft

Sicherlich ist es möglich Wissenschaft als reinen Selbstzweck zu betrachten. Folgt man der aristotelischen Unterscheidung von Wissenschaft und Technik, so zeichnet sich die „reine“ Wissenschaft gerade dadurch aus, daß keine Nutzenüberlegungen in die Forschung miteinfließen. Diese Sichtweise wurde durch die Scholastik übernommen und prägte das gesamte Mittelalter. Anhand des Begriffs der „Wesensschau“ kann der kontemplative Charakter dieser Perspektive kurz umrissen werden. Das Ziel der Wissenschaft ist das Wesen der Dinge (und somit die ganze Welt) zu erfassen und zu verstehen. Die Forschung im „Elfenbeinturm“, abgeschieden von den Problemen der umgebenden Gesellschaft, sind ein Bild dafür. Im Mittelalter erlebte diese Form der Wissenschaft ihre Blüte. In dem Bestreben die Theologie mit der Philosophie zu vereinen, wurde nur noch Wissen, das aus der Bibel oder von besonderen Autoritäten wie z.B. Aristoteles stammte, als legitim betrachtet. Andere Quellen des Wissens galten als ketzerisch. Nur so kann man verstehen warum ein Galilei verurteilt wurde, obwohl eigentlich jeder Mensch mit den eigenen Sinnen auch damals die Thesen Galileis hätte bestätigen können. Jede Wahrheit in der Wissenschaft mußte zunächst einmal durch eine Autorität (meistens durch die Kirche) legitimiert sein.

Wissen wurde als eine Art der göttlichen Offenbarung verstanden. Diese Offenbarung zu instrumentalisieren war ebenfalls höchst verdächtig und wurde mit dem Bann belegt oder endete schnell auf dem Scheiterhaufen. Hier beginnt nun das Neue bei Bacon (und natürlich gibt es wie immer einige Vorläufer). Er verwendet einen neuen Begriff von Wahrheit und Wissen.

Genauer gesagt, entdeckt er einen entscheidenden Aspekt der Wahrheit wieder - es ist der empirische Bezug der Wahrheit.

Das Besondere bei Bacon ist die Betonung auf die Zweckorientierung der Wissenschaft. Der „vita contemplativa“ setzt er ein „vita activa“ des Wissenschaftlers entgegen. Bacon verfolgt mit der Wissenschaft die ehrgeizigsten Ziele, die sich ein Mensch bis da to überhaupt erträumen konnte - die Erschaffung eines Paradieses auf Erden. Zu diesem Zweck entwickelt Bacon ein Wissenschaftsprogramm, welches er die „Große Erneuerung“ (Instauratio Magna) nennt.

Wahrheit

„Was ist Wahrheit ?“ Diese Frage stellt Pilatus an Jesus Christus vor dem Hohen Gericht. In der Philosophie gibt es als Antwort zu der Frage viele konkurrierende Theorien; nach wie vor gibt es keine, welche eine genügende Antwort bieten könnte.

Mit genau derselben Frage beginnt Bacon ebenfalls seinen Aufsatz über die Wahrheit. Zunächst drückt sich Bacon etwas nebulös über theologische und philosophische Wahrheiten aus. Er spricht von „Licht der Vernunft“ oder auch davon, daß jemand, der „auf dem überlegenen Boden der Wahrheit“ steht, alles überschauen kann. Die Wahrheit läßt sich erst mittels des Verstandes im Sinne der menschlichen Vernunft erfassen. Bacon folgt hier der mittelalterlichen Auffassung, daß der Mensch als Krone der Schöpfung das einzige Wesen ist, welches die Natur der Dinge zu erfassen vermag. Damit beginnt seine Analyse des Wahrheitsbegriffs. Die Wahrheit selbst hat einen Wert wie uns Bacon erklärt:

„Um nun von der Wahrheit im theologischen und philosophischen Sinne auf die Wahrheit im alltäglichen Leben zu kommen, so muß jeder, auch wer sich nicht daran kehrt, zugeben, daß Treu und Redlichkeit der menschlichen Natur zur Zierde gereichen und daß eine Beimischung von Falschheit gleichwie der Zusatz in Gold- und Silbermünzen ist; er erhöht die Brauchbarkeit, aber mindert den Wert.“

Es fällt ins Auge, daß Bacon von einer theologischen und philosophischen Wahrheit - diese wurde bis dato als miteinander vermengt verstanden - und daneben von einer alltäglichen Wahrheit spricht. Bacon führt diese Unterscheidung nur unterschwellig und äußerst behutsam ein. Sie ist aber entscheidend für die Entwicklung seiner späteren Methodologie.

Die Wissenschaft, welche ihren Wert aus „wahren“ Sätzen zieht, steht und fällt in logischer Konsequenz mit dem Wert ihrer „Wahrheiten“. Für Bacon hat die Wahrheit also einen ganz praktischen Nutzen, denn ohne sie kann es keine Wissenschaft geben. Die praktische, schaffende Wissenschaft bezieht ihr Wissen aus der äußeren Realität („den alltäglichen Wahrheiten“) und nicht aus der inneren Logik der antiken Werke, wie es in den Universitäten gelehrt wurde. Deshalb ist Bacon überhaupt nicht gut auf die griechische Philosophie zu sprechen, denn er schreibt:

„Die Wissenschaften, die wir betreiben, kamen fast gänzlich von den Griechen zu uns. [...] Die Weisheit der Griechen war aber Professorenweisheit, die sich in Disputationen erging. Diese Art ist der Erforschung der Wahrheit ganz und gar entgegen. Daher gebührt die Bezeichnung Sophisten, welche von denen, die für Philosophen gelten wollen, aus Verachtung den alten Rednern vorgeworfen wurde, wie Georgias, Protagoras, Hippias, Polus, auch der ganzen Gattung, dem Platon, Aristoteles, Zenon, Epikur, Theophrast und ihren Nachfolgern, Chrysipp, Carneades und den übrigen.“

Bacon scheint aber zu übersehen, daß sein Angriff zu undifferenziert ist. Generell kann man feststellen, daß er Aristoteles in einer scholastischen Sichtweise liest, welche nicht unbedingt der originären Gesinnung von Aristoteles entspricht. Gerade auf Aristoteles geht nämlich der Ausspruch zurück, daß nichts im Geiste ist, was nicht zuvor in den Sinnen war. Aristoteles war sich vollkommen im klaren darüber, daß die empirische Realität die Basis des Wissens ergibt. Ihm genau das Gegenteil unterstellen zu w ollen wäre etwas absurd.

Es könnte aber auch sein, daß sich seine verbalen Angriffe indirekt gegen den Lehrbetrieb der Kirche (wohlgemerkt nicht gegen die Kirche selbst) wenden, insofern als daß die abendländischen Universitäten die aristotelischen Lehren zu dessen Ungunsten mit d er christlichen Theologie vermischt hatten. Bacon, den man ohne ihm Böses zu wollen wohl als klassischen Opportunisten bezeichnen kann, verstand es meistens geschickt sein Anliegen durchzusetzen. Ein Angriff gegen die Kirche, welche den Lehrbetrieben vors tand, hätte seinen Plänen sehr geschadet - ein Angriff gegen schon lange tote Philosophen hingegen interessierte keinen der politisch Mächtigen seiner Zeit.

Als Indiz für sein opportunistisches Verhalten gegenüber der Kirche kann die Tatsache gelten, daß er in einigen Schriften sorgsam alle Kommentare, die sich kritisch mit der katholischen Kirche befaßten, vor der Veröffentlichung entfernte.

Durch seine Selbstzensur vermied er jeglichen Konflikt und umging dadurch auch in den Glaubensstreit in England hineingezogen zu werden, den er immer zu schlichten versuchte.

Überhaupt war Bacon in seiner Funktion als Staatsmann ständig bestrebt, die „wahren“ Ursachen für die Armut seiner Zeit festzustellen, um die sozialen Probleme lösen zu können. Er instrumentalisiert den Begriff der „Wahrheit“ dahingehend, daß er seine Nutzenfunktion für die Wissenschaft hervorhebt. Wissenschaft wird erst dann möglich, wenn mit „wahren“ Sätzen oder zumindest für wahr gehaltenen Sätzen operiert werden kann. Darin liegt der Nutzen der Wahrheit für die Wissenschaft.

Wissen

Woraus besteht nun also das „Wissen“ ? Wie präsentiert sich das Wissen und wie soll es behandelt werden ? Auf die letztere Frage gibt Bacon eine sehr schöne Antwort, welche bildlich dem Leser vor Augen führt, wie Bacon „Wissen“ verstanden haben möchte:

„Aus der Einsicht heraus, daß Wissen von der Art derjenigen Dinge ist, die nur mit Vorsicht und Ehrfurcht in Anspruch genommen werden sollten; und weil ich im folgenden eine Quelle eröffnen werde, deren Fontäne so stark ist, daß es einem schwer fällt zu bestimmen, wo die Strahlen des Wassers hintreffen werden und welchen Lauf das Wasser nehmen werde, habe ich es für notwendig und gut erachtet, zuallererst einen starken und gründlichen Damm zu bauen, der die Richtung des Wassers bestimme und steuere. Ich wi ll dies tun, indem ich den folgenden Beobachtungsstandpunkt oder diese Grenzbestimmung festhalte, nämlich, daß alles Wissen von der Religion limitiert und auf praktische nützliche Anwendung bezogen werden soll.

Bacon gibt in dieser Passage Antworten auf die früher genannten Fragen. Zunächst erklärt er dem Leser, daß das Wissen mit „Vorsicht“ und „Ehrfurcht“ zu behandeln sei. Der Grund für die Vorsicht ist bei Bacon zum einen dahingehend biblisch begründet worden, daß ja die Vertreibung aus dem Paradies mit dem Wissen-Wollen um Gut und Böse seinen Ursprung hatte und zum anderen führt Bacon an weiteren Textstellen aus, daß die Folgen des Wissens - die Anwendung in Form von Technik - für die Menschen durchaus negativ e Folgen haben kann. Die Ehrfurcht vor dem Wissen ist biblisch zu begründen, insofern, als daß das Wissen von Gott stammt und sich Gott darin offenbart. Eine leichtfertiger Umgang wäre - zumindest zur Zeit Bacons - ketzerisch und verwerflich.

Es kommt deutlich zum Ausdruck, wo die Grenzen des menschlichen Wissens liegen. Die Religion - sprich der Glaube - stellt den Rahmen in dem sich die Wissenschaft bewegen soll. Wissenschaft ist gebunden an die normative Ordnung Gottes, welche Bacon immer als a priori gegeben sieht.

Bacon unterscheidet prinzipiell zwischen göttlichem und menschlichem Wissen. Das göttliche Wissen fußt auf den göttlichen Wahrheiten, welches von den Priestern verkündet wird. Mit dieser Art von Wissen möchte sich Bacon nicht befassen. Ihm ist es vielmehr darum zu tun, das menschliche Wissen, welches seinen Ursprung in den alltäglichen Wahrheiten hat, zu erweitern und zu bearbeiten. Eine Vermischung der zwei Arten des Wissens lehnt er strikt ab. Indirekt greift er die Scholastik an, wenn er sagt:

“Um zusammenzufassen, der Schaden, den sowohl göttliches als auch menschliches Wissen, durch die Vermischung und Vermengung des einen mit dem anderen, genommen haben, ist unermeßlich; man denke daran, daß das göttliche Wissen mit Ketzereien durchsetzt wurde und das menschliche mit spekulativen Fiktionen und Nichtigkeiten.“

Die scharfe Trennung von göttlichem und menschlichen Wissen verschafft Bacons Idee der Wissenschaft den notwendigen Freiraum zur Entfaltung ohne gleich der Ketzerei beschuldigt zu werden. Man muß sich vergegenwärtigen, daß das Zeitalter Bacons durch und durch bestimmt war von Religionskriegen in Europa. In seiner Funktion als Politiker mußte Bacon sich tagtäglich mit den Streitigkeiten der verschiedenen Konfessionen auseinandersetzen. Der geschickte Schachzug Bacons die Wissenschaft quasi dem Zugriff der Kirche zu entziehen, erlaubt es ihm unbehelligt von den verschieden religiösen Gruppen seinen Claim abzustecken und zu besetzen. Bacon geht aber noch weiter - er versucht die Religion für sein Wissenschaftsprogramm zu gewinnen, indem er sagt:

„But howsover that be, there are besides the authorities of Scriptures before recited, two reasons of exceeding great weight and force why religion should dearly protect all increase of natural knowledge: the one, because it leadeth to the greater exaltati on of the glory of God; [..]. The other reason is, because it is a singular help and a preservative against unbelief and error;“

Damit bestätigt er nochmals, daß er keine Ketzerei begehen, sondern ja an der Gottesverherrlichung arbeiten möchte. Hier muß man ironischerweise einwerfen welch ein Zufall - Bacons Wissenschaftsprogramm ist und war schon immer ganz im Sinne der Bibel. So spricht Bacon im Brustton der Überzeugung davon, daß die Naturwissenschaft auch schon immer Gottesdienstfunktion hatte und es noch nie anders gewesen hätte sein sollen.

Nachdem nun geklärt sein sollte, in welchem Kontext der Begriff „Wissen“ steht, kommen wir zurück zur Frage, was denn das Wissen sei und wie es sich strukturell darstellt.

Zunächst ist festzuhalten, daß Wissen und Wahrheit einander bedingen und zusammengehören. Soweit es um menschliches Wissen geht, muß die Natur die Wahrheit des Wissens garantieren. Theorien werden nicht durch Autoritäten gestützt, sondern durch empirische Sätze, welche für alle Menschen überprüfbar sind. Bei dem Wissen im Sinne Bacons handelt es sich nicht mehr nur um isolierte, einzelne Betrachtungen zu Dingen, denen bestimmte Attribute zugeordnet werden, sondern um Objekte, die sich in ständiger Interaktion mit anderen Objekten befinden. Die ganze Welt ist ein System abhängiger Prozesse. Somit ist Bacons „Wissen“ kein Wissen um die Dinge, sondern ein „Wissen“ um die Prozesse. Diese These vertritt auch Box:

„To recapitulate briefly, the world of Baconian physics consists of processes not compounds.“

Natürlich ist einschränkend hinzuzufügen, daß Bacon seine Sicht nie so streng formuliert hat. Andererseits ist es notwendig die Antinomie des Wissens hervorzuheben, denn erst das Prozeßhaftige, läßt die praktische Verwertung von Wissen zu. Die reine Wesenschau, welche Bacon ja immer wieder kritisiert, führt auch notwendigerweise zu einer kontemplativen Haltung, welche immer zusieht, aber niemals handelt.

Alles Wissen hängt miteinander zusammen. Es ist möglich Teilgebiete zu spezifizieren, aber die Übergänge von einem Teilbereich zum Anderen sind fließend. Bacons Methodologie orientiert sich an der Struktur des Wissens. Da die Struktur des Wissens einheitlich ist, werden auch seine Methoden der Wissensbearbeitung einheitliche sein, wie wir später noch sehen werden.

Wissen - und dies muß immer wieder betont werden - ist für Bacon kein Selbstzweck. Das menschliche Wissen wird von Bacon immer instrumentell und zweckorientiert verstanden. Mit dem Wissen, welches „zum Wohlergehen und zur Erleichterung des Zustandes und d er Gemeinschaft der Menschen“ dient, ist ein Handlungs- und Folgenwissen gemeint, welches kausale Zusammenhänge erfaßt:

„Wissen und menschliches Können ergänzen sich insofern, als ja Unkenntnis der Ursache die Wirkung verfehlen läßt.“

Wissen muß notwendigerweise vorliegen, um eine gezielte Handlung durchführen zu können und erlaubt erst dann dem Menschen vernünftiges Handeln. Sehr treffend grenzt Schäfer zusammenfassend die Verdienste Bacons gegenüber anderer berühmter Forscher ab:

„Unbestreitbar sind die Beiträge von Descartes, Galilei, Kepler, Pascal und anderen Forschern des 17. Jahrhunderts zur Naturforschung wie zur Methodologie bedeutender als die von Bacon; und doch hat Bacon nicht nur die Verdienste des Propagandisten einzubringen, sondern er hat wie kein anderer die Handlungsbezüge und Handlungselemente im modernen Konzept von Wissenschaft erkannt und zum Ausdruck gebracht.“


Das Ziel der Wissenschaft

„Machet euch die Erde untertan“. Dieses Wort aus der Bibel nimmt Bacon wörtlich. Der Sündenfall und die Vertreibung aus dem Paradies sind Anlaß für Bacon genug darüber nachzudenken, ob die Vertreibung nicht nur das große Unglück, sondern vielleicht auch al s die Chance ist, das eigene Leben selbst zu bestimmen. So gewendet, eröffnet sich dem Menschen eine neue Dimension des Daseins. Bacon postuliert den selbstbewußten Menschen, der sich seine Welt zuhanden schafft und es „[..] entsteht bei Bacon der Gedanke der modernen Wissenschaft als der Möglichkeit des Menschen, durch Einsatz von Verstand und Empirie die Gestaltung der Erde für die Zukunft selbst in die Hand zu nehmen.“

Das ehrgeizige Projekt „Das Leben der Menschen zu verbessern“ möchte Bacon durch seine Forschungsmethoden unterstützen und vorantreiben. Er vergewissert sich dabei der Zustimmung durch die Kirche, indem er die Wissenschaft dem „christlichen Konzept der Mildtätigkeit“ unterordnet. Bacon sieht sein Vorhaben durch eine christliche Ethik legitimiert. Seine Interpretation des christlichen Glaubens folgt einer eher protestantischen Auffassung, die den menschlichen Verstand als eine gottgegebene und gottgewollte Gabe einsetzen möchte. Auch in diesem Leben ist ein gutes Leben möglich - so klingt der Grundtenor seines Glaubensbekenntnisses. Der Mensch soll sich hier auf Erden das Leben so gut wie möglich einrichten und nicht auf eine ungewisse Zukunft warten. Die Wissenschaft ist das Instrument schlechthin um das Ziel eines paradiesähnlichen Zustands zu erreichen. Bacon resümiert darüber, warum bisher die Wissenschaften „so wenig vorwärts gekommen sind“. Er stellt fest:

„Es ist unmöglich, im Lauf richtig voranzukommen, wenn das Ziel selbst nicht recht gesteckt und festgemacht ist. Das wahre und rechtmäßige Ziel der Wissenschaft ist kein anderes, als das menschliche Leben mit neuen Erfindungen und Mitteln zu bereichern.“

Außerdem wurde der Fortschritt durch den Einfluß antiker Autoritäten behindert:

„Weiter nun hemmte und verzauberte die Menschen im Fortschritt in den Wissenschaften die Ehrfurcht vor dem Altertum und vor den Männern, die in der Philosophie großes Ansehen genossen und denen die Menge zustimmte.“

Das große Ziel, ein „Paradies auf Erden“ zu schaffen, kann nicht erreicht werden, solange die Wissenschaft nicht daraufhin zu arbeitet. Aus den zitierten Textpassagen ergeben sich als Folgerung folgende Notwendigkeiten in Bezug auf die Wissenschaft :

  • Das Ziel der Wissenschaft muß abgeändert werden. In Zukunft ist es die Aufgabe der Wissenschaft dem Menschen dienlich zu sein und die notwendigen Hilfsmittel (Technik) dazu zur Verfügung zu stellen.
  • Der Wissenschaftsbetrieb muß geändert werden. Es darf keine Dogmen geben, welche von irgendwelchen Autoritäten aufgestellt werden. In Zukunft wird die Wahrheit von Theorien durch empirische Befunde gewährleistet.

Die Ziele, verstanden als Sollensforderungen, welche Bacon an die Wissenschaft stellt, entziehen sich wie alle normativen Forderungen jeder grundsätzlichen Kritik. Aristoteles wird von Bacon mitunter deshalb so heftig attackiert, da die Definition von Wissenschaft der Baconischen Sichtweise ganz und gar widerspricht. Aristoteles ist ein Symbol für die zweckfreie Wissenschaft - für Bacon ist eine zweckfreie schlicht eine zwecklose Wissenschaft und daher ist sie abzulehnen. Insofern die Zweckorientierung der Wissenschaft gottgewollt ist, liegt der logische Schluß nahe, daß Aristoteles sich mit seiner Definition von Wissenschaft ketzerisch verhält und so sieht Bacon in ihm den Anti-Christ. Nach wie vor ist Bacon offensichtlich in einigen Punkten dem mittelalterliche Denken verhaftet.

Offen bleibt zunächst die Frage, ob die Ziele für die Wissenschaft instrumentell verstanden, zur Erreichung des übergeordneten Zieles (Schaffung des Paradieses auf Erden) notwendig und hinreichend sind.

Im Rahmen einer Instrumentalisierung der Wissenschaft heißt es außerdem die Wissenschaft mit neuen „Werkzeugen“ zur Bearbeitung des Wissens zu versehen. So ist es auch zu verstehen, daß Bacon es für viel wichtiger erachtet eine neue Methodologie zu entwickeln, anstatt sich mit einzelnen wissenschaftlichen Disziplinen zunächst zu befassen. Ganz in diesem Sinne verfaßt Bacon einen Brief an den König,

„[..]; damit endlich nach so vielen Jahrhunderten Philosophie und Wissenschaft nicht mehr in den Lüften schweben, sondern sich auf die sicheren Grundlagen einer Alles umfassenden und wohldurchdachten Erfahrung stützten. Ich habe das Werkzeug dargeboten; de r Inhalt muß aber von den Dingen selbst entnommen werden.“

Nicht mehr oder weniger behauptet Bacon, als daß er die Wissenschaft auf den rechten Weg bringen wolle und sie außerdem mit der notwendigen Ausrüstung bereits ausgestattet habe. In Abgrenzung zur Scholastik und zu Aristoteles nennt er folgerichtig daher se in Werk „Neues Organon“, welches des „Organon“ des Aristoteles ersetzen soll. „Organon“ kann mit „Werkzeug“ übersetzt werden und zeigt an, daß es hier gerade um die Methodenwahl geht. Ohne allzu direkt zu werden, verwirft Bacon damit die Scholastik und propagiert eine neue Art des Wissenschaftsbetriebs. Die führenden Universitäten der damaligen Zeit ignorierten die neueren Erkenntnisse aus den Gebieten der Astronomie und Geographie vollständig:

„According to the 1556 statute, the Oxford B.A. course required two terms of grammar, four of rhetoric, five of logic, three of arithmetic, and two of music. The basic texts were, for the study of astronomy Ptolemy, and for that of geography, Strabo and Pl iny; Copernicus, Cristopher Columbus and Vasco da Gama might never have existed! Regulations for the year 1585-6 stipulated that all bachelors and undergraduates ´should lay aside their various Authors, such that caused many dissensions and strifes in the Schools, and follow Aristotele and those who defend him´,[..]“

Bacon erkennt an, daß kein wirkliches Vorwärtskommen in den Wissenschaften ohne eine Institutionalisierung der Wissenschaft möglich ist. Der Austausch von Erkenntnissen zwischen den Forschern wird dadurch beschleunigt. Ferner sorgt eine Institutionalisierung dafür, daß die direkte Abhängigkeit des Forschers von der herrschenden Elite, bzw. dem König, geringer wird. So betreibt Bacon zeitlebens ein Projekt, welches man modern als den Versuch zur Schaffung eines Instituts im Zusammenhang einer „science community“ beschreiben könnte. Er verweist mehrfach darauf, daß er die große Aufgabe nebst seinen Staatsämtern unmöglich allein ausführen könne. Seinem Anliegen wurde jedoch zu seinen Lebzeiten nicht entsprochen. Es verwundert nicht, daß er zunächst mit dem Ziel einer Reform des Lehrbetriebs auf taube Ohren stieß, wenn man sich Rossis Beschreibung des Lehrkanons der Universität Oxford noch einmal vergegenwärtigt. Bacons Ansichten stehen denen des traditionellen Lehrbetriebs in krassem Widerspruch gegenüber. Da Bacon außerdem ja eigentlich „nur“ Jurist und Politiker war, wurde er umsomehr von den Professoren als arroganter Laie abgetan. Nichtsdestoweniger formierte sich die „Royal Society“ nach seinem Tode und konnte bereits nach kurzer Zeit deutliche Erfolge vorweisen.

Bacon möchte aber auf jeden Fall eine Dogmatisierung in den Wissenschaften vermeiden und eine freie Forschung erlauben. Bacon kritisiert die traditionellen Wissenschaften hinsichtlich ihrer Unfähigkeit „eine Erleichterung und Verbesserung der Lage der Menschen“ herbeizuführen. Er beteuert, daß seine Methoden hingegen geeignet sind die wilde Natur sich dienstbar zu machen:

„Beides [die Unschuld des Menschen und die Herrschaft über die Schöpfung] aber kann bereits in diesem Leben einigermaßen wiedergewonnen werden, die Unschuld durch Religion und Glauben, die Herrschaft durch Künste und Wissenschaften.“

Es ist eine Herrschaft über die Schöpfung im guten Sinne gemeint. Ein negativ verstandener Begriff von „Herrschaft“ im Sinne der Unterjochung der Natur hieße Bacon gründlich mißzuverstehen. Einen deutlichen Hinweis gibt Bacon dazu bereits früher:

„Die Natur nämlich läßt sich nur durch Gehorsam besiegen.“

Es ist notwendig, die Wissenschaft von ihren alten Lasten zu befreien. Eine Verbesserung sieht Bacon darin, die Wissenschaft von der Metaphysik zu reinigen. Die Metaphysik behindert bzw. verhindert nur die Wissenserweiterung, bzw. läßt falsches und unsicheres Wissen zu. Dieses Argument - wenn auch in modifizierter Form - haben auch moderne Wissenschaftstheoretiker übernommen. In erster Linie kritisiert Popper diejenigen Philosophen, welche (seiner Meinung nach) bloße Theorien und Meinungen aufgestellt habe n und sich der Empirie, somit der Überprüfbarkeit, zur Gänze entziehen, aber als wissenschaftlich gelten wollen. Nach Popper ist es auch im 20. Jahrhundert einigen Denkern (explizit wird Heidegger genannt) gelungen sich mit „Unsinn von tiefer Bedeutung“ z u etablieren. Gegen diese Art von Unsinn habe „Bacon, Hume, Kant und Russell seit Jahrhunderten gekämpft“.


Der Wissenschaftler

Eine zentrale Rolle nimmt bei Bacon der Wissenschaftler ein. Die Ansprüche an die Person eines Wissenschaftlers sind sehr hoch - Bacon erwartet von ihm, daß er vorurteilsfrei die Natur untersucht oder zumindest sich über seine Vorurteile im Klaren ist und diese im Forschungsprozeß berücksichtigt. Der Wissenschaftler ist eine stets aktive, in die Zukunft blickende Person, die etwas bewegen und erreichen will. Bacon begreift „seinen ´man of science´ als Optimisten, als geistigen und praktischen Eroberer - als ´doer´“.

Wichtig ist dabei, daß der Wissenschaftler nicht nur altes Wissen umformt, sondern neues Wissen schafft. Darin liegt die Bestimmung des Wissenschaftlers. Böhme schreibt treffend:

„Wissenschaftler zu sein hieß nach Bacon nicht mehr Gelehrter zu sein, sondern jemand der einen „Beitrag“ gemacht hat oder machen kann, nämlich einen Beitrag zu dem Korpus kollektiven Wissens, der beständig erweitert und erneuert wird.“

Das Wissen ist somit keine abgeschlossene Einheit, das man nur unter verschiedenen Aspekten diskutieren kann. Vielmehr ist das Wissen so etwas wie eine Sammlung, dem immer weitere neue Artefakte hinzugefügt werden und es niemals eine Aussicht auf eine voll ständige Sammlung gibt. Der Naturwissenschaftler ist der derjenige, der das Wissen aus der Natur - also seiner natürlichen Umgebung - sammelt und gemeinsam mit anderen Wissenschaftlern verwaltet. Es bedeutet aber nicht, daß der Wissenschaftler stumpfsinnig Daten sammelt, sondern vielmehr Informationen auswertet und in einen strukturellen Zusammenhang bringt. Darin liegt mitunter die Leistung eines Wissenschaftlers. Bacon wird oft als reiner Empirist rezitiert. Es läßt sich jedoch leicht zeigen, daß Bacon, welcher sich als modernen Wissenschaftler sieht, dem wohl kaum zugestimmt hätte:

„Die, welche die Wissenschaften betrieben haben, sind Empiriker oder Dogmatiker gewesen. Die Empiriker, gleich den Ameisen, sammeln und verbrauchen nur, die aber, die die Vernunft überbetonen, gleich den Spinnen, schaffen die Netze aus sich selbst. Das Verfahren der Biene aber liegt in der Mitte; sie zieht den Saft aus den Blüten der Gärten und Felder, behandelt und verdaut ihn aber aus eigener Kraft. Dem nicht unähnlich ist nun das Werk der Philosophie; es stützt sich nicht ausschließlich oder hauptsächlich auf die Kräfte des Geistes, und es nimmt den von der Naturlehre und den mechanischen Experimenten dargebotenen Stoff nicht unverändert in das Gedächtnis auf, sondern verändert und verarbeitet ihn im Geiste. Daher könne man bei einem engeren und festeren Bündnisse dieser Fähigkeiten, der experimentellen nämlich und der rationalen, welches bis jetzt noch nicht bestand, bester Hoffnung sein.“

Ein moderner Wissenschaftler gleicht also einer „Biene“, welche „den Saft aus den Blüten der Gärten zieht“ und „aus eigener Kraft verdaut“. Bacon möchte die Empirie (experimentelle Fähigkeiten) und die Vernunft (rationale Fähigkeiten) durchaus miteinander verbinden. Die Vernunft besitzt insofern genau denselben Stellenwert wie die Empirie. Bacon stellt die Empirie in seinen Texten vor allem deswegen heraus, da sie bis dato kraß vernachlässigt oder in einer falschen Weise benutzt wurde.

Ein Hauptproblem eines jeden Forschers ist seine Abhängigkeit von Forschungsgeldern. Bacon ist diese Art von Abhängigkeit nur zu gut bekannt. Eine unabhängige Institution könnte den Wissenschaftler davor bewahren, die Forschung nur nach den Interessen seiner Geldgeber oder den eigenen egoistischen Interessen auszurichten. Der wissenschaftliche Betrieb muß folglich so eingerichtet werden, daß der Wissenschaftler die wahre Natur der Dinge erforschen kann und darf.

Der Mensch - so auch der Wissenschaftler - ist grundsätzlich fehlbar und läßt sich durch Vorurteile zu machen Trugschlüssen verleiten. Er läuft immer in Gefahr von Trugbildern getäuscht zu werden. Diese Trugbilder nennt Bacon „Idole“, welche er sodann in vier Typen einteilt:

  1. Die Trugbilder des Stammes (idola tribus) sind fehlerhafte Neigungen, die allen Menschen eigen sind. Entsprechend dem Satz „Der Mensch ist das Maß aller Dinge“ läßt sich jeder sehr leicht dazu verführen, Wahrnehmungen mit Wunschdenken zu vermischen und di e Natur quasi zu vermenschlichen.
  2. Die Trugbilder der Höhle (idola specus) sind individuelle Vorurteile und Neigungen, die entweder angeboren oder erlernt sind.
  3. Die Trugbilder des Marktes (idola fori) beziehen sich auf die Sprache. Im Alltagsgebrauch werden Begriffe mit neuen Attributen versehen, wodurch sich die eigentliche Wortbedeutung verändert und so Probleme bei der Verständigung untereinander auftreten.
  4. Die Trugbilder des Theaters (idola theatri) schließlich sind die überlieferten philosophischen Systeme, vor deren irreführenden Spekulationen sich der Wissenschaftler zu hüten hat.

Die Idole sind für den Wissenschaftler ein wirkliches Hindernis, denn:

“Die Idole und die falschen Begriffe, welche vom menschlichen Verstand schon Besitz ergriffen haben und tief in ihm wurzeln, halten den Geist der Menschen nicht nur in der Weise in Beschlag, daß der Wahrheit nur mit Mühe ein Zugang offensteht; sondern auch dort, wo der Zugang gegeben und bewilligt worden ist, werden jene selbst bei der Erneuerung der Wissenschaften wiederum auftauchen als eine rechte Last, wenn die Menschen nicht, vor ihnen gewarnt, sich gegen sie nach Möglichkeit schützen.“

Eine objektive Erkenntnis kann nur erreicht werden, wenn sich der Wissenschaftler von den Idolen freimacht. Jedoch die richtige Methode um Erkenntnisgewinn zu ermöglichen fehlte bisher in den Wissenschaften - zumindest laut Bacon - bis Bacon das „Neue Organon“ schrieb.


Die Methodenlehre

Kommen wir nun zu dem Kernstück der Baconischen Wissenschaftstheorie. Es wurde schon hinreichend betont, daß Bacon durch neue Methoden sicheres Wissen gewinnen will. Bacons Methodologie ist nicht eine neue Logik des Schließens, sondern ein neues Verfahren der Forschungstätigkeit. Sie zeichnet sich mit dadurch aus, daß durch die neue Art zu Forschen auch neue Erkenntnisse gewonnen werden können. Indirekt verweist Bacon darauf, daß die Anwendung von Sylogismen niemals gehaltserweiternd sein kann und nur bereits Bekanntes ineinander umgeformt wird. Selbstredend ist, daß jedoch nur der aktive Wissenschaftler, welcher mit der Wissenschaft etwas erreichen will, mit Bacons Methoden etwas anzufangen weiß, insofern er Bacons Ansichten über Wahrheit und Wissen teil t . Es liegt ein Paradigmenwechsel in der Wissenschaft vor. Das bedeutet, daß es eine Gruppe von Wissenschaftlern zu Bacons Zeit immer noch gibt, welche der alten, scholastischen Wissenschaftslehre anhängt und eine Gruppe von Wissenschaftlern, welche Bacon s Sichtweise von Wissenschaft teilt. So stellt Bacon ebenfalls fest, daß es zwei Wege gibt um zu Wissen zu gelangen. Jedoch nur der von ihm vorgeschlagene Weg „ist der wahre, aber der so gut wie nicht begangene.“.

Der richtige Weg - die Interpretation der Natur

Bacon präzisiert seine Sichtweise der zwei Wege so:

„Die Auffassung, deren man sich gewöhnlich bezüglich der Natur bedient, pflege ich zur Unterscheidung die Antizipation der Natur zu nennen (da es ein unbesonnenes und voreiliges Verfahren ist); jenen Weg aber, der in gebührender Weise von den Dingen her be stimmt wird, die Interpretation der Natur.“

Die Antizipationen haben den Status von Vorurteilen. Sie werden der untersuchten Sache nicht gerecht, sondern sind von den Idolen geleitete, voreilige Annahmen. Aus diesem Grund muß Bacon Antizipationen prinzipiell ablehnen. Popper versteht Antizipationen als Hypothesen, welche immer nur vorläufig sein können und als solche auch keiner Rechtfertigung bedürfen, denn:

„Wir wissen nicht, sondern wir raten. Unser Raten ist geleitet von dem unwissenschaftlichen, metaphysischen (aber biologisch erklärbaren) Glauben, das es Gesetzmäßigkeiten gibt, die wir entschleiern, entdecken können. Mit Bacon könnten wir die ´...Auffassung, der sich jetzt die Naturwissenschaft bedient, ... Antizipationen ..., leichtsinnige und voreilige Annahmen´ nennen.“

Nach Popper ist mit dem Baconischen Terminus „Antizipation“ in etwa dasselbe wie eine Hypothese gemeint. Urbach lehnt in seinem Vorwort zum Neuen Organon diese Sichtweise ab, da Antizipation Vorwegnahme von Wissen heißt, welches nicht weiter überprüft wir d. Gerade Popper selbst lehnt Hypothesen als sinnlose Sätze ab, wenn sie nicht überprüfbar sind. Antizipationen können jedoch in diese Kategorie fallen. Krohn sieht den Hauptunterschied zwischen Antizipation und Interpretation darin, daß bei der Interpretation im Gegensatz zur Antizipation „die Verallgemeinerung aus dem Einzelnen auf anderes Einzelnes zurückverweist“. Die Antizipation nimmt a priori allgemeine bereits geltende Systeme an, in welches die neuen Erkenntnisse integriert werden. Diesen Sachverhalt möchte Bacon ausdrücklich kritisieren. Die Interpretation der Natur heißt jeden Sachverhalt zu untersuchen und zu abstrahieren. Vorausgesetzt der untersuchte Gegenstand (Objekt A) weist gleiche Merkmale wie der schon früher untersuchte Gegenstand (Objekt B) auf, so lassen sich beide Gegenstände einer neuen abstrakten Kategorie (nennen wir sie K) oder Klasse von Objekten zuordnen. Wenn nun ein neuer Gegenstand (Objekt C) als Element von K erkannt wird, ergeben sich zwangsläufig Hypothesen in Bezug auf d as Objekt C. Ein kleines Beispiel zur Illustration: Bienen (Objekt A) und Wespen (Objekt B) gehören zu den Insekten, welche einen Giftstachel besitzen und den Menschen stechen können (Kategorie K). Die Erfahrungen kann man sehr leicht selbst schmerzhaft nachvollziehen, um zu diesen Erkenntnissen zu kommen. Sieht man nun ein Insekt umherschwirren (Objekt C), welches ähnlich wie eine Biene oder Wespe aussieht, so ordnet man dieses quasi automatisch der Gruppe für den Menschen gefährlicheren Insekten (Kategorie K) zu.

In diesem Sinne hatte wollte Bacon die Interpretation der Natur verstanden haben wollen. Von den Einzelfällen kommt man zu den allgemeinen Sätzen. Nichts anderes als das induktive Vorgehen ist damit gemeint. Bacon bleibt bei den allgemeinen Sätzen nicht stehen. Die allgemeinen Sätze, bzw. generellen Hypothesen werden deduktiv wiederum mit neuen empirischen Befunden geprüft. Der richtige Weg der Forschung ist eine Mischung aus Induktion und Deduktion. Letzteres wurde in der Scholastik ausführlich betrieben unter Vernachlässigung der Induktion, wie Bacon immer wieder betont.

Die Induktion

Bacons Vorgehen ist es, die Natur sorgfältig und genau zu beobachten. Auf der Basis der gewonnenen Daten ist es nach Bacon dann möglich, eine Generalisierung vorzunehmen, welche zu einer neuen Theorie führen kann. Als Analogie dient ihm die Herstellung von Wein : Eine sehr große Anzahl von Trauben wird genommen und anschließend ausgepreßt. Heraus kommt der Saft, quasi die Quintessenz der Trauben. Nach einer Reinigung und Kelterung erhält man den reinen Wein. Mit diesem Bild beschreibt Bacon wie das wahre Wissen hergestellt wird. Auch hier begegnet man wieder der Idee von der schaffenden Forschertätigkeit. Oft wurde aufgrund ähnlicher Beispiele die Induktion Bacons zunächst als ein einfaches, lineares Modell verstanden. Als solches ist es tatsächlich sehr leicht zu widerlegen .

Tatsächlich glaubte Bacon, daß es möglich sei durch die Induktion - also durch eine Verallgemeinerung einzelner empirischer Befunde - zu sicheren, allgemeingültigen Aussagen kommen zu können. Da er sich darüber im Klaren ist, daß der Mensch ein von den Idolen fehlgeleitetes Mängelwesen ist und schon am Anfang einer jeder Untersuchung durch falsche Vorurteile belastet wird, möchte er den Forscher von den Vorurteilen befreien. Mittels der Induktion soll dies gelingen:

“Die Aufstellung der Begriffe und Sätze durch wahre Induktion ist gewiß das geeignete Hilfsmittel, die Idole abzuhalten und zu eliminieren; aber auch ihre Kennzeichnung ist von großem Nutzen.“

Der Grundgedanke, welcher seiner induktiven Vorgehensweise inhärent ist, heißt überspitzt zusammengefaßt: „Eliminiere das Falsche (Unwahre) und das Richtige (Wahre) bleibt am Schluß übrig“. Bacons Form der Induktion wird daher auch als „Methode der eliminierenden Induktion“ bezeichnet.

Nur - so linear wie die Vorgehensweise erscheint - war sie von Bacon nicht gedacht. Vielmehr heißt es am Ende einer Untersuchung die Prämissen (oder implizite Annahmen) der Untersuchung im Lichte der neuen Erkenntnisse zu überprüfen. Die Vorgehensweise ist „also nicht linear, sondern retroaktiv: Man muß die Anfangsschritte, die vermeintlich auf einfachen Tatsachen beruhen, noch einmal durchlaufen und mit Revisionen gerade dann rechnen, wenn die Methode zu Erfolgen führt.“.

Auch das gewonnene Resultat wird empirisch nochmals überprüft. Man kann durchaus von einer deduktiven Methodik dabei sprechen. Bacon beschäftigt sich seht ausführlich mit der Problematik wie Irrtümer vermieden werden können. Er versucht den Forschungsvorgang zu formalisieren, wobei er gleichzeitig betont, daß die Ausformung des Forschungsprozesses auch vom Forschungsgegenstand mit abhängig ist.

Die experimentelle Methode

Die Durchführung von Experimenten zur Erlangung neuer Erkenntnisse und zur Überprüfung derselben, ist neben der Induktion eine der wichtigsten Methoden um Wissenschaft überhaupt erst zu ermöglichen. Auch Kuhn hebt Bacons Verdienst um die Popularisierung d er experimentellen Methode hervor. Indem Bacon die Wissenschaft „von der Metaphysik reinigt“ und die möglichen Schwachstellen des Forschers benennt, bzw. ausmerzt, ist es deutlich leichter geworden falsche Theorien auszusondern und somit den Wert der Wissenschaft zu verbessern. Die Einführung der experimentellen Methode stellt einen Meilenstein in der Geschichte der Wissenschaft dar. Bacon fordert die Überprüfbarkeit von Ergebnissen. Im Forschungsprozeß versucht Bacon zunächst mittels empirischer Befunde über die Induktion zu allgemeinen Sätze zu kommen. Die allgemeinen Sätze müssen an Einzelfällen aus der Realität geprüft werden. Bis dato wurden Experimente vielfach nur als Gedankenexperimente durchgeführt. Die Realisierung von Experimenten galt lange Zeit als unnötig, da schon die Vernunft die richtigen Ergebnisse vorhersagen würde. Nicht die Vernunft zeigt bei Bacon die Richtigkeit des Experiments, sondern die Natur. Damit ein Experiment nachvollziehbar wird, müssen alle äußeren Umstände protokolliert werden und die Anordnung des Experiments beschrieben werden. Ein fehlgeschlagenes Experiment zeigt, daß entweder die vorangegangene „Interpretation der Natur“ (Hypothesen) falsch ist, oder aber ein Fehler in der Versuchsanordnung liegt. Letzteres versucht Bacon durch ein sorgfältiges Vorgehen bei den Experimenten zu verhindern.

Den Experimenten kommt nicht nur der Zweck der Überprüfung von Hypothesen zu, sondern vor allem auch das Auffinden bisher unbekannter Zusammenhänge. Erst das Festhalten von Randbedingungen zeigt oft im Nachhinein, daß gerade die Randbedingungen für den Aus gang eines Experiments von entscheidender Bedeutung sind. Experimente unterstützen den Forscher bei seiner induktiven Vorgehensweise insofern, als daß die Anzahl der beobachtbaren Ereignisse zu Untersuchungszwecken über das Maß hinaus vergrößert werden ka n n, als die zu untersuchenden Fälle normalerweise in der Natur auftreten. Der Forscher schafft sich künstlich „natürliche“ Ereignisse. Selbstverständlich hat die experimentelle Methode ihre Grenzen: Soziale Ereignisse lassen sich kaum künstlich reproduzieren, wie es z.B. in der experimentellen Physik möglich ist. Experimentelle Methoden sind auch für Bacon eng mit den naturwissenschaftlichen Studien verbunden. Hingegen schließt er aber grundsätzlich die Möglichkeit der Anwendung von Experimenten hinsichtlich sozialer Belange nicht aus.