Die politische Utopie
Bacons politische Vorstellungen sind nicht explizit ausformuliert. Das nimmt kaum Wunder da:
„In der Politik ist selbst eine Änderung zum Besseren wegen der damit verbundenen Unruhe verdächtig, da sich die bürgerlichen Angelegenheiten auf Autorität, Übereinstimmung, Überlieferung und Meinung, nicht immer auf die logische Beweisführung stützen.“
Bacon möchte etwas zum Besseren hin bewegen. Würde er nun offen eine
politischen Veränderung anstreben, würde er sich - so der logische
Schluß - damit zwangsläufig verdächtig machen. Obwohl er bereits
alle Ämter verloren hatte, hielt er die Veröffentlichun g seines
utopischen Romans „Neu-Atlantis“ zurück. Nach wie vor war Bacon
von dem Wohlwollen seines Königs abhängig. Zwar war Bacon der
Bestechung für schuldig befunden worden, aber die Geldstrafe wurde von ihm
nie eingefordert. Ein etwas zu forsches Auf t reten durch die
Veröffentlichung hätte vielleicht einen Sinneswandel des Königs
zur Folge gehabt und Bacon wäre zum Bettler geworden. So wurde
„Neu-Atlantis“ posthum veröffentlicht - ein utopischer Roman,
welcher trotz seiner Kürze einige brisante Ideen b einhaltet, die erst nach
genauerem Lesen offenkundig werden. Die politische Utopie fußt auf Bacons
Theorien, welche in den früheren Schriften bruchstückhaft enthalten
sind. Viele utopische Elemente entstammen seinen früheren Betrachtungen
über Wissenschaft und Gesellschaft.
Der Bezug zu Platons „Atlantis“
Schon der Titel „Neu-Atlantis“ verrät, daß Bacon auch in diesem Buch seine Idee der großen Erneuerung fortsetzt. So wie er das „Organon“ des Aristoteles mittels seines „Neuen Organons“ überbieten wollte, so möchte er Platons fiktive Beschreibung von Atlan tis durch seine Fiktion von „Neu-Atlantis übertreffen. Platon beschreibt im „Kritias“, bzw. „Timaios“ eine Insel, welche reich an Bodenschätzen ist und auch sonst einen fruchtbaren Boden hat, so daß man zweimal im Jahr ernten kann. Die Insel zeichnet sich dadurch aus, daß alles im Überfluß vorhanden ist.
Regiert wurde das sagenhafte Atlantis in Platons Erzählung durch zehn Könige, von denen jeder Einzelne ein bestimmtes Gebiet zu verwalten hatte. Die Könige waren wiederum durch den Gott Poseidon eingesetzt und dazu verpflichtet worden sich gegenseitig zu k ontrollieren, ob jemand die überlieferten Gesetze bräche. Die Bewohner von Atlantis stammen selbst von den Göttern ab. Zunächst waren sie tugendhaft und befolgten die göttlichen Ratschläge. Mit der Zeit jedoch entarteten sie, was den Göttern sehr mißfiel. Aus diesem Grund sandten die Götter eine große Flut, welche die Insel verschlang.
Soweit zur Beschreibung des alten Atlantis. Wichtig ist vor allem zu wissen, daß einige der platonischen Grundgedanken sich in Atlantis wiederfinden:
- Es gibt eine Idee des Guten und die Bewohner von Atlantis wußten davon
-
Die Gesellschaft befindet sich in einem permanenten Verfallsprozeß. Ziel des Staates muß sein den Prozeß zu stoppen oder zumindest zu verlangsamen
Der Verfall der Gesellschaft von Atlantis findet durch die große Flut ihr Ende. Es zeigte sich, daß die Bewohner, obwohl sie von den Göttern abstammten, nicht in der Lage waren den Staat vor dem Untergang zu bewahren.
Bacon knüpft an die Vorstellung paradiesähnlicher Zustände von
Atlantis an. Die Ausgangssituation in seinem „Neu-Atlantis“ ist
ähnlich. Auch Neu-Atlantis ist eine Insel und sie liegt genauso wie das
sagenhafte Atlantis jenseits der Säulen des Herkules. Nic ht nur die
geographische Lage ist beiden Inseln gemeinsam, sondern auch der Zustand einer
Überflußgesellschaft, welche insbesondere zur Bacons Zeit eine absolut
realitätsferne Darstellung sein mußte. Hunger und Unruhen sind den auf
„Neu-Atlantis“, bzw. „A t lantis“ lebenden Menschen
unbekannt. Vorbild der Menschen auf Atlantis sind die griechischen Götter,
von denen sie abstammen. An dieser Stelle beginnen nun die Unterschiede zu Bacons
„Neu-Atlantis“.
Anthropologie
Die Menschen von Neu-Atlantis sind ebenfalls tugendhaft und auch sie wollen das Gute. Dies gelingt durch die Erkenntnis der göttlichen Wahrheiten, welche im Gegensatz zur griechischen Mythologie einer christlichen Weltanschauung entspringen. Während die Be wohner von Atlantis der platonischen Idee des Guten verpflichtet sind, haben die Einwohner von „Neu-Atlantis“ die christliche Idee von Güte und Barmherzigkeit verinnerlicht. Mit dem Begriff der „Güte“ als Eigenschaft läßt sich der Baconische Menschentyp us am besten charakterisieren. Diese Grundhaltung kommt nicht von ungefähr. Sie ist die Folge des christlichen Glaubensbekenntnis, dem fast alle Bewohner von „Neu-Atlantis“ angehören. Einzige Ausnahme sind einige Juden, welche ebenfalls auf der Insel wohne n .
Die Einwohner der Insel bezeichnen sich selbst als die „Bewohner der Insel Bensalem“ . Der Wortursprung von „Bensalem“ liegt im Hebräischen und bedeutet soviel wie „Sohn des Friedens“. Deutlicher hätte Bacon die Friedfertigkeit als Eigenschaft der dort le benden Menschen nicht hervorheben können.
Im Roman beschreibt Bacon wie einige Reisende durch Zufall nach Neu-Atlantis verschlagen werden. Zunächst werden sie von den Bewohnern von der Landung auf der Insel abgehalten. Nachdem es sich herausstellt, daß es sich bei den Reisenden um Christen handelt und sie bei Gott schwören, daß sie keine ansteckenden Krankheiten haben, dürfen sie das Land betreten. Die Reisenden werden dann in ein „Fremdenhaus“ verbracht, wo sie versorgt werden, aber zunächst unter Quarantäne stehen.
Die Beschreibung enthält einige interessante Details: Zum Einen beschränkt sich der direkte Kontakt der Reisenden mit den Einheimischen zunächst auf Begegnungen mit Beamten. Eine perfekte Organisation scheint den Ablauf der Begegnungen zu koordinieren. Es findet sich immer der richtige Mann am richtigen Platz ein, um die Reisenden anzuleiten und die nächsten Schritte anzukündigen. Zum Anderen werden sie völlig selbstverständlich mit allem Lebensnotwendigen unentgeltlich versorgt. Der Versuch verschiedenen B eamten einige Goldstücke zuzustecken, endet mit der Antwort der Beamten, daß für eine Arbeit nicht doppelter Lohn angenommen werden dürfe. Bacons Anweisungen zum richtigen Handeln finden sich plastisch dargestellt. So sagt Bacon in den „Essays“ nämlich sch on früher:
„Was die Bestechlichkeit angeht, so lasse nicht nur deine eigenen und deiner Untergebenen Hände kein Geschenk nehmen, sondern sorge dafür, daß die Hände der Bittsteller sich nicht zum Geben öffnen“.
Ganz in diesem Sinne wird es dem Anführer der Reisenden dann auch bewußt, daß er eigentlich den Beamten ein unmoralisches Angebot gemacht hat. Die Einwohner von Atlantis, so zeigen die Beispiele, sind charakterlich den anderen Menschen weit überlegen. Niem and kommt auf die Idee, die eigene Position zu seinem Vorteil auszunützen. Lüge und Betrug sind unbekannt.. Die Freigiebigkeit mit der die Reisenden bedacht werden, geht über das normale Maß an Gastfreundschaft weit hinaus. Die Reisenden, welche während d er Schiffsreise krank wurden, werden von den Insulaner in nur kurzer Zeit gesund gepflegt.
Die Reisenden haben es also mit idealen Menschen zu tun. Sie verkörpern alle christlichen Tugenden und scheinen keinen Makel zu besitzen. Die Einwohner der Insel erscheinen den Reisenden fast schon als Engel. Solcherlei Menschen sind Verbrechen kaum zugä n glich. Prostitution ist unbekannt und wird auch nicht geduldet. Es liegt auf der Hand, daß eine Gesellschaft, welche aus idealen Menschen besteht, keine Konflikte kennen kann.
Stellt man dieses Menschenbild dem negativen Typus Hobbesianischer Prägung
gegenüber, erhält man einen scharfen Widerspruch, der nicht krasser
ausfallen könnte. Das Leben der Menschen von Neu-Atlantis ist reich,
gesellig und lang. Das Leben im Hobbesianisc hen Naturzustand ist dagegen arm,
einsam und kurz. Notwendigerweise ergibt sich bei Bacon daher auch ein
gänzlicher anderes Bild der fiktiven Gesellschaft von Neu-Atlantis als bei
Hobbes´ “Leviathan“.
Aufbau der Gesellschaft
Die zentrale Rolle der fiktiven Gesellschaft nimmt die Familie ein. Ihre patriarchalische Struktur bestimmt weitgehendst die sozialen Belange. Zwistigkeiten unter den Familienmitgliedern werden durch das Familienoberhaupt, der als „Tirsanus“ bezeichnet w i rd, geregelt. Die Mitglieder der Familie haben sich ihm unterzuordnen. Falls sich einige Mitglieder den Anordnungen des Tirsanus nicht beugen wollen, dann greift die Staatsgewalt, den Tirsanus unterstützend, ein:
„Der Gouverneur hilft durch seine öffentliche Autorität die Dekrete und Anordnungen des Tirsanus zur Ausführung zu bringen, wenn sie nicht beachtet werden sollten. Allerdings ist dies sehr selten nötig, denn man fügt sich dort sehr willig in die natürliche Ordnung.“
Die patriarchalische Struktur wird als natürliche, gottgegebene Ordnung verstanden. Sie orientiert sich stark an biblischen Beispielen aus dem alten Testament. Ähnlich wie dort gibt es auf Bensalem Geschlechter mit weit zurückreichenden Stammbäumen.
Die Ehe ist die wichtigste Institution der Gesellschaft überhaupt, welche das Funktionieren der Großfamilie garantiert. Sie wird durch den Staat unterstützt und unterliegt festen Bestimmungen, welche die Eheschließung betreffen:
„Vielweiberei wird nicht geduldet. Es besteht die Vorschrift, daß keine Hochzeit gefeiert und kein Ehevertrag abgeschlossen werden darf, solange nicht ein Monat nach dem ersten Zusammentreffen von Mann und Frau verflossen ist. Ehen, die ohne Einwilligung d er Eltern eingegangen werden, sind zwar nicht ungültig, werden aber dadurch gewissermaßen bestraft, daß man aus diesen Ehen stammenden Kindern zwei Drittel ihrer Erbschaft beschlagnahmt.“
Die Stabilität der Institution Ehe garantiert die Stabilität der übergeordneten Großfamilie und diese wiederum sichert die soziale Ordnung. Das vorliegende Schema folgt dem Subsidaritätsgedanken, Entscheidungen und die Lösung von Problemen so weit als mögl ich an die Basis des sozialen Gefüges weiterzuleiten. Dadurch, daß der Staat in großem Umfang Aufgaben an den Tirsanus bzw. in die Großfamilie delegiert, entfallen notwendigerweise große Verwaltungsapparate. Gleichzeitig hat der Tirsanus eine Art Priester f unktion, da er im Namen „des ewigen Vaters“ seine Familie segnet.
Eine Wertstellung der Großfamilien ergibt sich nicht nach deren Abstammung, sondern nach deren Verdienst für den Staat. Entsprechend der Größe der Nachkommenschaft erfolgt die Ehrung des Familienvaters.
Dies zeigt: Die Gesellschaft Bensalems ist gänzlich anders strukturiert als die existierende Gesellschaft Englands oder anderer europäischer Staaten. Die patriarchalische Struktur Bensalems - so antiquiert sie auch erscheinen mag - erlaubt soziale Mobilitä t. Auffällig unauffällig ist, daß Bacon nirgends von einer aristokratischen Schicht spricht. Es gibt Personen, die hohe Ämter innehaben, aber nicht wegen ihrer Geburt, sondern wegen ihrer persönlichen Eigenschaften (z.B. Tugendhaftigkeit, Intelligenz). Ni chts deutet in „Neu-Atlantis“ darauf hin, daß es so etwas wie Adelsgeschlechter gibt. Unter dem Gesichtspunkt der möglichen sozialen Mobilität der Gesellschaft ist die Utopie Bacons sehr modern. Bensalem ist keine Ständegesellschaft. Die gesellschaftliche Stellung der Menschen in Bensalem ergeben sich aus ihrem Verdienst um den Staat. Die Ausnahme könnte der König von Bensalem sein, da aus dem Roman nicht ersichtlich wird, ob das Königsamt wie üblich vererbt wird, oder ob es eine andere Form zur Einsetzung in das Königsamt gibt.
Konflikte innerhalb der Gesellschaft Bensalems scheinen unbekannt zu sein. Dies ist auch kaum ein Wunder, da es sich bei den Einwohnern Bensalems ausnahmslos um aufgeklärte, ideale Bürger handelt, welche in einer beispiellosen Überflußgesellschaft leben. A rmut und Hunger sind für die Einwohner unbekannt. Somit entfällt auch der primäre Antrieb für jede Art von Unruhen folgt man Bacons Thesen über die Entstehung von Unruhen. Die Gesellschaft Bensalems ist keine Notgemeinschaft. Es geht weder darum, sich geg e n einen gemeinsamen Feind zu verteidigen, noch darum durch Arbeitsteilung sich das Leben zu erleichtern. Die Gesellschaft Bensalems verfügt über Maschinen, welche die notwendigen Güter herstellen. Die Menschen führen ein glückliches und langes Leben. Wie s chon im letzteren Kapitel erwähnt ist ihre herausragende Eigenschaft, die der Güte und Mitmenschlichkeit. Jeder Einzelne fühlt sich in der Gesellschaft Bensalems verpflichtet das Glück des Anderen zu befördern. Folgerichtig faßt Schäfer zusammen:
„Die gesellschaftliche Organisation erfolgt also aus einem Verständnis von wechselseitiger Verpflichtung auf das gemeinsame Ziel, die Mehrung des Wohles aller zu verfolgen, das die Aktivitäten der Einzelnen wie der Institutionen umgreift.“
Die Gesellschaft Bensalems zeichnet sich unter anderem durch ihre Toleranz in Glaubensfragen aus. So leben auch Juden in Bensalem , „die Religionsfreiheit genießen“. Im Roman tritt der Kaufmann Joabin auf, welcher den Reisenden hilfreich zur Seite steht un d ihnen einiges über die Gesellschaft Bensalems erzählt. Der Anführer der Reisenden wird mit ihm „freundschaftlich bekannt“. Freundschaft von Christen und Juden war noch im späten Mittelalter verpönt, bzw. geradezu unvorstellbar. Bacon schränkt zugleic h e in, daß die dort lebenden Juden sich in ihrem Verhalten deutlich von den europäischen Juden unterscheiden würden:
„Denn während die anderen Juden den Namen Christi hassen und gegen das Volk bei dem sie wohnen, im stillen eine tiefeingewurzelte Abneigung hegen, haben diese volles Verständnis für die meisten göttlichen Eigenschaften unseres Heilandes und sind dem Volke Bensalems mit großer Liebe zugetan.“
Indem Bacon die Juden Bensalems als dem Christentum wohlgewogen darstellt, entgeht er so dem Vorwurf sich den „Mördern des Heilands“ anzudienen. Als Letztere wurden die Juden im Mittelalter das Ziel zahlreicher Progrome. Bacons liberale Einstellung in Glaubensfragen zeigt sich in „Neu-Atlantis“ nun wieder. Im Unterschied zu früheren Passagen wird Toleranz nicht nur unterschiedlichen Konfessionen, sondern auch anderer Religionen (Judentum) gegenüber eingefordert. An dieser Stelle verläßt Bacon ganz eindeutig das Mittelalter und wechselt ideengeschichtlich in die Neuzeit. Von Bensalem als Beispiel einer pluralistischen Gesellschaft zu reden wäre jedoch weit überzogen. Die Intention geht jedoch zumindest in diese Richtung.
Bacon versteht das Judentum als den Wegbereiter zum wahren Glauben, ohne
letztlich den Messias erkannt zu haben. White interpretiert den Namen Joabin
dahingehend, daß er als eine Chiffre für den biblischen Joab gilt,
welcher den Weg für König Salomo zu de ssen Herrschaft - auf teilweise
grausame Art - geebnet hätte. Eine ähnliche Funktion hat Joabin in
„Neu-Atlantis“. Er ist der Wegbereiter zu dem Wissen über die
Sitten und Gebräuche des Landes. Obwohl er Jude ist, gilt sein unbedingter
Gehorsam dem Staat. Dies zeigt sich als er von einem Boten der Regierung
plötzlich abberufen wird und er daraufhin sofort sein Haus
verläßt.
Die Stellung des Königs
Bensalem ist eine Monarchie. Die Reisenden erfahren davon nur indirekt durch Erzählungen von Dritten. So erklärt der Vorsteher des Fremdenhauses, in das sie nach der Landung gebracht wurden:
„Es regierte auf unserer Insel vor neunzehnhundert Jahren ein König, dessen Andenken wir vor allen pflegen und in Ehren halten. Wir verehren ihn nicht als Gott, sondern als sterblichen Menschen, der Gottes Werkzeug war. Er hieß Salomona und gilt als der Ge setzgeber unseres Volkes. Dieser König hatte ein großes Herz, unerforschlich in seiner Güte; sein ganzes Streben ging dahin, sein Reich und sein Volk zu beglücken.“
Und weiter es heißt es in der Beschreibung des Königs:
„Dieser König hatte die Absicht, Politik und Menschlichkeit miteinander zu verbinden.“
Solamona ist eine Chiffre für einen fiktiven König, der die Weisheit Salomos und die Güte und Gerechtigkeit Solons gleichermaßen besitzt. König Salomo wurde für seine Weisheit gepriesen und gilt als der klügste Herrscher der Geschichte. Solon andererseit s kann als Begründer der attischen Demokratie gelten, der es verstand allen Schichten Gerechtigkeit widerfahren zu lassen. Er war ein Mann des Ausgleichs, der versuchte durch die Schaffung von Institutionen einer Staatsverfassung die notwendige Stabilität z u geben. Ganz in diesem Sinne wird auch von König Solamona gesprochen:
„Es war also damals eine glückliche Blütezeit, ein Zustand, der sich tausendmal eher verschlechtern als verbessern konnte. Solche Erwägungen führten den König zu der Überzeugung, daß zur völligen Verwirklichung seiner wirklich edlen und hochsinnigen Absich ten nur eines fehlte: den glücklichen Verhältnissen Dauer zu verleihen.“
Zwei besonders bemerkenswerte Dinge finden sich in der Beschreibung des Königs Solamona: Er ist der „Gesetzgeber des Volkes“ und er möchte den „glücklichen Verhältnissen Dauer verleihen“. Sicherlich erläßt jeder König Gesetze, aber interessanterweise wird der König primär als „Gesetzgeber“ und nicht als „Herrscher“ bezeichnet. Das einzige Ziel, welches der König noch zu verfolgen hat, ist nicht seine Machtsicherung, sondern das Glück des Landes für die Zukunft zu bewahren.
Vielfach wird Bacon dahingehend kritisiert, daß er seine Utopie nicht radikal genug formuliert hätte. Nach wie vor sei er ein Anhänger der Monarchie. Es wäre aber ein Trugschluß den König als einen Vertreter des Absolutismus anzusehen. „Neu-Atlantis“ ist b estenfalls eine konstitutionelle Monarchie. Neben dem König gibt es auch einen Senat, auf dessen Existenz lediglich in einem Nebensatz hingewiesen wird. Vom herrschenden König zur Zeit der Reisenden spricht Bacon nur zweimal in „Neu-Atlantis“: Das eine Mal als der König den Tirsanus ehren läßt, das andere Mal als davon gesprochen wird, daß der König nicht alle Geheimnisse des Landes erfährt. Die letztere Stelle belegt, daß der König nicht immer die höchste Autorität besitzt. Die Darstellung des Königs zeigt ihn als den obersten Verwaltungsbeamten, bzw. Repräsentanten des Landes, nicht aber als einen Souverän. Der herrschende König von Bensalem fällt allenfalls durch seine Unauffälligkeit auf. Die Bedeutung als Herrscher und Gesetzgeber, die der König e inmal hatte, ist mit dem Tod König Solamonas erloschen.
Der ursprüngliche König Solamona erkennt, daß es notwendig ist eine Institution zu schaffen, welche der Garant für die Zukunft des Reiches ist. Nebenbei erläßt der Gesetze, welche den Status einer Verfassung haben, die unabänderlich bis in alle Zukunft gel ten. Durch die Maßnahmen einer Institutionaliserung des Rechts und einer Rahmenverfassung denkt der König den Fortbestand seines Reiches zu sichern.
Diese Beobachtungen stimmen weitestgehend mit der These überein, daß Bacon eine Monarchie nur als Mittel zum Zweck angesehen habe und sich durchaus eine andere Staatsform hätte vorstellen können.. Der König wird durch die Überlegung, was nach seinem Tod ge schieht, dazu gebraucht eine gerechte Verfassung einzusetzen, ähnlich wie es Solon in Athen tat. Bacons Vorstellung bei Reformen Unruhen zu vermeiden, schimmert auch hier wieder durch: Eine Reform durch den König ist bereits vorab legitimiert und es stell t sich nicht das Problem eines gewaltsamen Umsturzes, um die Reformen durchzusetzen.
Der ideale Herrscher, der alle Tugenden verkörperte, ist aber schon vor
langer Zeit gestorben. Durch seinen Tod erlischt auch sein Vermögen zu
herrschen. Indirekt weist Bacon durch den Hinweis, daß der Herrscher ein
Normalsterblicher und nur ein „Werkzeug Gottes“ sei, darauf hin,
daß es nicht einfach damit getan ist die Herrschaft auf seinen Nachfolger
zu übergeben.. Mit dem Tod König Solamonas inthronisiert sich die von
ihm ausgedachte Verfassung quasi automatisch mit. Die Denkfigur Bacons wie man am
beste n von einer Monarchie zu einer verfaßten Staatsordnung kommt ist
ebenso einfach, wie genial. Damit nicht genug: Die Gesetze, welche in ihrer Summe
eine Verfassung ergeben, werden nicht nur geltendes Recht, sondern niemand vermag
anschließend die Verfassun g außer Kraft zu setzen, da König
Solamona, welcher alle Gesetze erließ, die einzige Person war, welche dazu
legitimiert wäre. In der Tat hat sich Bacon dies Alles sehr schlau
ausgedacht: Er gerät nicht zum Gegensprecher der Monarchie, oder möchte
den Feud a lismus begraben wie es Farrington sieht. Nein, er läßt
vielmehr die Monarchie sich selbst in die Schranken verweisen. Erinnern wir uns:
Bacon hatte das Ziel für England eine Verfassung zu schreiben, welche
für das Wohlergehen der Menschen einstehen sollt e . Genau dies passiert in
„Neu-Atlantis“ indirekt angedeutet. Der weise König Solamona hat
die gleichen Absichten wie Bacon: Er möchte das Wohl aller seiner
Bürger sicherstellen. Und dazu schafft der König eine neue Institution
- das Haus Salomons.
Das Haus Salomons
Der Kerngedanke Bacons eine neue Institution zu schaffen, welche den „wahren Zielen der Wissenschaft“ verpflichtet ist, sieht sich nun realisiert. Das Haus Salomons, gegründet durch König Solamona, erfüllt Bacons Vorstellungen. Unklar bleibt leider, wie w eit im Einzelnen die (auch politischen) Befugnisse des Hauses Salomons tatsächlich reichen. Es werden lediglich einzelne Hinweise gegeben.
Die Struktur der Institution
Das Haus Salomons wird zunächst als ein Orden (oder Brüderschaft) beschrieben, welcher auch den Beinamen „Kollegium der Werke der sechs Tage“ hat. Bacons Ansicht, daß die Wissenschaft eine Form der Gottesverherrlichung sei, wird durch den Beinamen deutlich hervorgehoben und in „Neu-Atlantis“ explizit formuliert:
„Er [Der König - Anm. des Verfassers] hat diesem Haus, das zur gründlichen Erforschung der wahren Natur aller Dinge errichtet worden ist, vielleicht auch deshalb den zweiten Namen ´Kollegium der Werke der sechs Tage´ gegeben, um auf diese Weise das Werk de s göttlichen Schöpfers zu verherrlichen und es fruchtbarer und nutzbringender für die Menschen zu gestalten.“
Die Eigenschaft des früheren Königs Solamona - seine Weisheit - findet sich sowohl im Namen, wie auch in der ursprünglichen Bedeutung im Haus Salomons wieder. Zum Einen bedient sich Bacon noch einmal einer Wortspielerei, dahingehend, daß das Wort „Salomo“ in dem Wort „Solamona“ enthalten ist, und zum anderen verweist er explizit darauf, daß das Haus Salomons auch tatsächlich Wissen in Form von Büchern von dem biblischen König Salomo besitzt.
Der Name „Haus Salomons“, wie auch „Kollegium der Werke der sechs Tage“ beziehen sich beide auf alttestamentarische Vorstellungen von Weisheit. Es wird angenommen, daß die Weisheit von Gott geschenkt wurde. Die Angehörigen des „Haus Salomons“ haben die Au fgabe zu forschen und die Ergebnisse für die Menschen nutzbringend einzusetzen. Ein Mitglied des Hauses Salomons beschreibt deren Aufgaben kurz zusammengefaßt:
„Unsere Gründung hat den Zweck, die Ursachen des Naturgeschehens zu ergründen, die geheimen Bewegungen in den Dingen und die inneren Kräfte der Natur zu erforschen und die Grenzen der menschlichen Macht so weit auszudehnen, um alle möglichen Dinge zu bewir ken.“
Man kann leicht erkennen, daß die Ziele und Aufgaben des Hauses Salomons deckungsgleich mit den Vorstellungen Bacons in Bezug auf den Wissenschaftsbetrieb sind. Im „Valerius Terminus“, bzw. „Neuen Organon“ hatte Bacon genau die Ziele des Hauses Salomons für die Wissenschaft gefordert; in Neu-Atlantis setzt er selbst - zumindest fiktiv - seine Ideen institutionell um. Dem Haus Salomons kommt zugleich die wichtigste Aufgabe des Staates zu. Diese Institution soll den Fortbestand der funktionierenden Gesellschaft gewährleisten und sichern. Wie bereits dargelegt, hatten zu König Solamonas Zeiten schon paradiesische Zustände geherrscht. Die einzige Aufgabe, welche es für den König noch gab, nämlich den glücklichen Zuständen Dauer zu verleihen, wurde an das Haus Salomon delegiert.
Das Haus Salomons hat nun die staatstragende Funktion schlechthin übernommen. Verknüpft sind damit Befugnisse, welche weiter reichen als die des Königs. Ein herausragendes Merkmal des Hauses Salomon ist nämlich das Privileg darüber zu entscheiden, welches Wissen veröffentlicht werden und welches Wissen geheim bleiben soll. Die Brüderschaft hat sich „eidlich dazu verpflichtet, das geheimzuhalten, was auf Grund eines gemeinsamen Beschlusses geheimgehalten werden soll“. Die Geheimhaltungspflicht gilt gegenüber jeder Person unabhängig ihrer gesellschaftlichen Stellung. Auch der König ist davon nicht ausgenommen. So verliert der König einen entscheidenden Teil seiner Souveränität. Berücksichtigt man nun Bacons Überlegung, daß Wissen für ein zielgerichtetes Hand eln absolut notwendig ist, so bedeutet das Zurückhalten von Wissen, der Regierung potentielle Handlungsalternativen vorzuenthalten. Die Kontrolle über das Wissen auszuüben, heißt faktisch mitzuregieren ohne in der Verantwortung des Regierens zu stehen, bzw . dazu legitimiert worden zu sein. Die Brüderschaft ist also in der Lage politische Entscheidungen gänzlich apolitisch zu steuern, ohne daß der König oder sonst ein Regierender dagegen angehen könnte.
Erscheinen den Mitgliedern der Brüderschaft die Forschungsergebnisse für die Öffentlichkeit von Nutzen, so wird dafür gesorgt, daß das neuerworbene Wissen publik wird. Dazu reisen die „Väter des Hauses Salomons“ umher und besuchen die größeren Städte. Es ist aus dem Text nicht eindeutig ersichtlich, in welcher Verbindung die Väter des Hauses Salomons zur Brüderschaft stehen. Es darf als sicher gelten, daß sie Mitglieder der Brüderschaft sind und über weiterreichende Weisungsbefugnisse verfügen. Offen bleib t wer die „Väter“ in ihr Amt einsetzt. Im Roman „Neu-Atlantis“ trifft es sich gerade günstig, daß ein Vater des Haus Salomons die Stadt besucht, in der sich die Reisenden aufhalten und ihnen später sogar eine Audienz gewährt. Bereits dessen Eintreffen in der Stadt erinnert mehr an einen Einzug eines Königs, bzw. Triumphators, als einen Wissenschaftler, der zu Besuch kommt. So segnet er das Volk, während er auf einer Sänfte durch die Straßen getragen wird. Sein äußeres Erscheinungsbild ähnelt dem eines Engels. Die Sänfte in der er sitzt, ist verziert mit Gold und Edelsteinen. Die Reisenden zeigen sich sehr beeindruckt. Der prunkvolle Einzug in die Stadt zeigt, daß der Vater des Hauses Salomons viele Privilegien des Königs besitzt.
Der Vater des Hauses Salomons ist eine hochgestellte Persönlichkeit. Seine Erscheinungsweise steht der eines Königs in punkto Pracht und Prunk in nichts nach. In der Privataudienz, welche dem Anführer der Reisenden gewährt wird, verstärkt sich der Eindruck , daß der Vater des Hauses Salomon auf der gleichen Stufe mit der des Königs steht. Die Ehrfurchtsbezeigungen gebühren einem König. Hierdurch läßt Bacon den Leser unter anderem wissen wie sehr er die Wissenschaft schätzt.
Der Anführer der Reisenden wird mit den Worten „Gott segne dich, mein Sohn!“ durch den Vater des Hauses Salomons begrüßt. So sagt der Vater im Weiteren:
„Gott und den Menschen zuliebe werde ich dir vom wahren Zustand des Hauses Salomons erzählen.“
Das Zitat ist ein weiteres Indiz dafür, daß der Wissenschaftler im
Baconischen Verständnis Wissenschaft nicht als wertfrei, sondern immer im
Kontext mit christlichen Wertvorstellungen versteht. Das gesamte Haus Salomons
untersteht der christlichen Idee von Güte (caritas). Priesterliche
Funktionen sind teilweise Attribute der Mitglieder der Brüderschaft. Die
Anrede „Mein Sohn“ wird normalerweise von einem Priester gebraucht,
der zu einem Mitglied seiner Gemeinde spricht.
Die funktionale Einteilung
Das Haus Salomons ist funktional untergliedert. Die Forschungen werden nicht in Hinsicht auf das Fachgebiet, sondern in Hinsicht auf die Verfahrensschritte unterschieden. Unzweifelhaft suggeriert Bacon hier dem Leser ein Programm einer Einheitswissenschaft . Die Brüderschaft wird in die folgenden Gruppen eingeteilt:
Bezeichnung |
Anzahl |
Aufgabe |
Lichtkaüfer |
12 |
Sammeln von Informationen aus fremden Ländern (jeweils 6 Lichtkäufer sind für jeweils 12 Jahre abwechselnd unterwegs) |
Ausbeuter |
3 |
Sammeln von Informationen über Versuche aus Büchern |
Jäger |
3 |
Sammeln von Informationen über Versuche aus der Natur |
Schatzgräber |
3 |
Ausführen von aussichtsreichen Versuchen |
Ordner |
3 |
Auswerten von Versuchsergebnissen |
Wohltäter |
3 |
Verallgemeinerung der Ergebnisse |
Leuchten |
3 |
Aufstellung allgemeiner Hypothesen, Vorschlag neuer Experimente |
Propter |
3 |
Überprüfung von aufgestellten Hypothesen durch Experimente |
Erklärer der Natur |
3 |
Eingliederung des neuen Wissens und Nutzbarmachung |
Insgesamt sind 36 Posten benannt. Bacon, der sehr oft Chiffren benutzt um seine Aussagen zu unterstreichen, hatte sicherlich nicht aus Zufall jeweils Gruppen von 3 und 12 Personen benannt. Diese Zahlen wurden unter anderem im biblischen Zusammenhang als perfekte Zahlen angesehen. Die Zahl 36 ergibt sich wiederum aus der Multiplikation der Zahlen 3 und 12. Bacon möchte dem Leser dadurch vermitteln wie perfekt das Haus Salomons organisiert ist.
Die Aufgaben lassen sich 2 Forschungsfortschritten zuordnen. Die
Forschungsschritte entsprechen der induktiven Vorgehensweise, wie sie Bacon
fordert.
Forschungsschritt 1
Die Lichtkäufer, Ausbeuter und Jäger sind bestrebt Informationen über Versuche und Faktenwissen zusammenzutragen. Während die Ausbeuter dazu auf Bücher zurückgreifen, sind die Jäger darauf angewiesen empirisches Material zu sammeln. Die Lichtkäufer, von denen jeweils sechs Personen sich in fremden Ländern aufhalten, fungieren als Ausbeuter und Jäger gleichermaßen mit dem Unterschied, daß sie das Wissen kaufen.
Die Schatzgräber verwenden die ihnen gelieferten Informationen um Experimente auszuführen, welche ihnen nach Lage der Dinge sinnvoll erscheinen.
Die Ordner werten die Ergebnisse der Experimente aus und strukturieren sie.
Die Wohltäter betrachten die Auswertungen unter zwei Gesichtspunkten. Zum Einen wird untersucht inwiefern die Erkenntnisse nützlich für das praktische Leben sind, zum anderen möchten sie den „kausalen Zusammenhang der Dinge möglichst klarlegen“.
Mit einer anschließenden Beratung in der Brüderschaft und einer
Überprüfung der vorgelegten Resultate ist der erste Forschungsschritt
abgeschlossen.
Forschungsschritt 2
Auf der Basis des „vorliegenden Materials“ werden von den Leuchten neue Versuche vorgeschlagen,„die tiefer in die Natur eindringen sollen“. Ihre Aufgabe ist unausgesprochen die Aufstellung von Hypothesen, welche die Grundlagen für die neuerlichen Versuche sind.
Die Propter sind bedeutungsgleich mit den Experimentatoren, wie man sie heutzutage in den Naturwissenschaften antrifft. Sie überprüfen mittels Versuche die Hypothesen und berichten von den Ergebnissen.
Die letzte Gruppe, welche die Untersuchungen zum Abschluß bringen, sind die
Erklärer der Natur. Die neuen Erkenntnisse werden von ihnen in ein
Theoriegebäude eingearbeitet, bzw. Theorien werden erweitert und
modifiziert.
Neben den Mitgliedern der Brüderschaft - den eigentlichen Forschern - gibt es Gehilfen und Schüler, welche die Forschungen mitvorantreiben helfen.
Alles zusammengenommen ergibt das Bild eines komplexen wissenschaftlichen Apparats. Krohn weist darauf hin, daß manche Aspekte einer Manufaktur (arbeitsteilige Forschung), andererseits Elemente von Geheimbünden wie der der Rosenkreuzer und Freimaurer (Bruderschaft, die Wissen geheimhält) in der Darstellung des Hauses Salomons vertreten seien.
Die starke funktionale Untergliederung deutet bereits auf eine möglicherweise sehr hohe Effizienz des wissenschaftlichen Betriebs hin. Die Spezialisierung in verschiedene Berufe ist jedoch nicht mit einer Hierachisierung verbunden. Alle Posten werden als gleichwertig dargestellt. Gerade dieser Aspekt erscheint besonders utopisch, da in der englischen Gesellschaft zu Bacons Lebzeiten alle Posten in einer festen Hierachie verankert waren.
Weiter fällt auf, daß das Haus Salomons überall auf Bensalem
vertreten ist. Man kann in der Tat von einer „scientific community“
sprechen, wie sie Bacon in „Neu-Atlantis darstellt.
Die Forschungen
Einen großen Raum nehmen die Beschreibungen der technischen Errungenschaften von Bensalem in „Neu-Atlantis“ ein. Dem Anführer der Reisenden wird vorgeführt welch grandiose Erfindungen den Menschen das Leben erleichtern. Zusammengefaßt lassen sich die Forsc hungen und Errungenschaften wie folgt gruppieren:
Tiefe, unterirdische Höhlen
Die Höhlen dienen vor allem zur Konservierung und Lagerung, sowie der Härtung und Herstellung von Metallen. Teilweise werden aus Mineralien neue Medikamente fabriziert.
Hohe Türme, teilweise auf Bergen
Auf den bis zu einer ½ Meile hohen Türmen wird Wetterkunde betrieben. Auch dort werden Produkte bearbeitet indem man sie der Strahlung der Sonne, bzw. der Kälte in der Höhe aussetzt.
Süß/Salzwasserseen
Bensalem besitzt sowohl Süß- wie auch Salzwasserseen, um dort z.B. Fische zu züchten oder um Dinge in Salzwasser länger haltbar zu machen. Es besteht die technische Möglichkeit Salzwasser in Süßwasser umzuwandeln und vice versa.
„Energiegewinnung“
Bensalem kennt keine elektrische Energie, wohl aber besitzen sie alle Möglichkeiten kinetische Energie zu nutzen und man bedient sich sogar der Sonnenenergie.
Indem Wasserfälle und Windkraft mit Maschinen gekoppelt werden, findet eine direkte Energieumformung statt.
Einrichtungen zur Förderung der Gesundheit
Es gibt verschiedene Arten von Heilbädern und sogenannte Gesundheitszimmer, denen teilweise eine lebensverlängernde Wirkung zugeschrieben wird. Der Alterungsprozeß wird verlangsamt und viele Krankheiten können geheilt werden. In Pharmazeutischen Laborato r ien werden entsprechende Medikamente hergestellt.
Medizinische Forschung
Um zu neuen Erkenntnissen in der Medizin zu gelangen, werden von Bacon Tierversuche propagiert, um einerseits den menschlichen Organismus besser verstehen zu können und andererseits neue medizinische Präparate an Tieren auszuprobieren. Tierversuche entspre chen seiner Vorstellung der experimentellen Methode.
Agrarwissenschaft und Biotechnik
Neue Züchtungen von Pflanzen und Tieren erlauben es eine Umwelt den menschlichen Bedürfnissen gemäß zu schaffen. Kleinlebewesen, wie z.B. Insekten können künstlich produziert werden. Das Baconische Programm zur Verbesserung der Lebensbedingungen der Mensch en findet hier seinen Höhepunkt. Der Mensch wird nicht mehr länger in eine feindliche, aber dafür natürliche Welt, sondern in eine freundliche, aber dafür künstliche Welt hineingeboren. Die Natur wird durch den Menschen zu einem Kunstprodukt gemacht.
Sinnesforschung
In den sogenannten akustischen und optischen Labors werden Forschungen betrieben, die sich mit Sinneswahrnehmungen beschäftigen. Auch hier werden von den Forschern Mittel und Wege gefunden die natürlichen Grenzen des Menschen durch technische Hilfsmittel h inauszuschieben. Es gibt auch Einrichtungen, welche sich mit den Geschmacks- und den Geruchssinnen befassen. Dort ist die Absicht möglichst wohlschmeckende, bzw. wohlriechende Erzeugnisse herzustellen.
Es gibt auf Bensalem eine ganz besondere Einrichtung - das Haus der Sinnestäuschungen. Es wird in einem Betrugslabor demonstriert, wie die Sinne der Menschen getäuscht werden können. Die Idee, welche dahintersteht, ist simpel: Auf den Trick den man kennt, fällt man nicht herein. Auf diese Art und Weise sollen die Menschen davor gefeit werden, sich durch irgendwelche Scharlatane blenden zu lassen. Bacon kannte nur zu gut die Alchemisten, die den Königen für viel Geld versprachen Gold herzustellen und stattdessen sich nach Erhalt des Gelds flugs davon machten. Den Wissenschaftlern Bensalems ist es ausdrücklich verboten Dinge in „lügenhafter Aufmachung“ erscheinen zu lassen. Niemand soll durch die Wissenschaftler betrogen werden.
Rüstungsindustrie
Bensalem besitzt eine Rüstungsforschung und ist in der Lage überlegene Waffen zu produzieren. Die überlegene Reichweite und Schlagkraft der Waffen sichert die militärische Überlegenheit.
Maschinen zur Fortbewegung
Auf Bensalem gibt es Flugapparate mit denen die Menschen durch die Luft segeln können. Mit U-Booten entgehen sie den Meeresstürmen und da sie das Perpetuum Mobile besitzen, gibt es eine universelle Lösung alle Fahrzeuge fortzubewegen.
Letzteres erscheint aus heutiger Sicht amüsant, zeigt jedoch wie sehr am Anfang die Naturwissenschaften zu Bacons Zeit standen. Die irrtümliche Annahme, daß es ein Perpetuum Mobile geben könne, wurde später durch die Entdeckung der kinetischen Gesetze fall en gelassen.
Sonstige Errungenschaften
Zur Zeit Bacons konnte es im Winter in den Häusern der damaligen Zeit äußerst unangenehm werden, da das Holzfeuer nicht warm und gleichmäßig genug für Wärme sorgte. So läßt es sich jedenfalls am besten erklären, daß in „Neu-Atlantis“ sehr ausführlich über Heiztechniken gesprochen wird. Die Erzeugung von Wärme wurde im „Neuen Organon“ als Fallbeispiel ebenfalls untersucht. Die Heizanlagen, von denen Bacon schreibt, sind an sich nichts Besonderes, demonstrieren jedoch wie Forschung in Technologie umgesetzt und zum Einsatz gebracht werden kann.
Wichtig für die Nahrungsversorgung der Einwohner sind die Techniken neue, besonders bekömmliche Nahrungsmittel herstellen zu können. Sogar Wasser wird so modifiziert, daß es als Nahrung dienen kann.
Schließlich bleibt noch auf das Haus der Mathematik hinzuweisen, welches
als eine eigene Institution geführt wird. Unter anderem finden sich dort
auch astronomische Instrumente, welche Bacon der Zuständigkeit der
Mathematik zuordnet.
Zu den Forschungseinrichtungen Bensalems ist zu sagen, daß viele der dort beschriebenen Errungenschaften später tatsächlich „erfunden“ wurden. Man kann sehen wie alt z.B. die Idee ist U-Boote zu bauen. Die Forschungen haben alle eine Sache gemeinsam - sie dienen dem Wohl der Menschen Bensalems. Die fortgeschrittenen, medizinischen Therapien, bzw. die Erfolge in der Pharmazie und Gentechnik verlängern das Leben und beseitigen Krankheiten. Bedingt durch die technischen Möglichkeiten Nahrung in fast jeder beli ebigen Menge und Form zu produzieren, ist auch der Hunger endgültig besiegt. Die Gesellschaft Bensalems muß sich also den Wissenschaftlern aufs Tiefste verpflichtet fühlen. Um es auf einen Nenner zu bringen: Die Wissenschaft führt Bensalem ins Paradies. Bacons Wissenschaftsprogramm führt zu einem Zustand von Glückseligkeit. Der Begriff von Glückseligkeit stammt zwar von Aristoteles, kennzeichnet hingegen den vollendeten Zustand des Glücks schlechthin. Das Ziel aller Ziele glaubt Bacon durch seine Forschung en erreicht zu haben - die Schaffung des Paradieses auf Erden.
Wesentlich für den Erfolg der Forschungseinrichtungen scheint die
Ausdifferenzierung in die einzelnen Untersuchungsbereiche zu sein, wie sie gerade
heute faktisch existieren. Die Trennung in einzelne Disziplinen, wie sie von
Bacon vorgenommen wurden, triff t zwar auf die heutige Zeit nicht zu, zeigt
jedoch die Richtung der zukünftigen Entwicklung der Wissenschaften korrekt
an.
Der Staat - der Bewahrer der Ruhe und des Friedens
Hunger und Krankheiten - die Grundübel zur Zeit Bacons - sind auf Bensalem ausgerottet. Die einzige mögliche Bedrohung für die paradiesischen Zustände der Gesellschaft könnte nur von Außen kommen. Dem trägt Bacon Rechnung: Nicht von ungefähr kommt es, daß Bensalem im Roman eine weit abgelegene Insel im Pazifik ist. Schon die geographische Lage allein verhindert einen intensiven Gedanken- wie Warenaustausch mit benachbarten Staaten. Nicht jedoch die Lage der Insel, sondern ein Gesetz des Königs ist dafür ve rantwortlich, daß die Insel allen anderen Völkern gänzlich unbekannt ist:
„Nachdem der König seinen Untertanen alle Seereisen verboten hatte, mit Ausnahme der Reise nach Gegenden, die der Herrschaft seines Reiches unterworfen waren, erließ er trotzdem folgendes Gesetz: alle zwölf Jahre sollten aus diesem Reich zwei Schiffe nach verschiedenen Ländern der Erde abgesandt werden, auf denen je drei Mitglieder der Brüderschaft vom Hause Salomons mitzufahren hätten.“
Lediglich einigen Mitgliedern des Hauses Salomons ist es vorbehalten Schiffsreisen in andere Länder vorzunehmen. Sie reisen dabei inkognito - niemand in den von ihnen besuchten Ländern weiß wer sie sind, noch woher sie kommen. Es geht sogar so weit, daß den Reisenden im Roman erklärt wird, daß die Art und Weise, wie die Besucher der anderen Länder ihre Herkunft verbergen, streng geheim sei.
Der Zweck der Reisen ist es „uns über alle Verhältnisse Bericht zu erstatten“und bei „ihrer Rückkehr Bücher, Instrumente und Muster jeder Art mitzubringen“. Heutzutage würde man dies wohl als eine Expedition mit dem Auftrag zur Industriespionage bezeichnen.
Die Abschirmung des Staates von der Außenwelt ist eine Totale. Einzige Ausnahme sind Schiffbrüchige oder Forscher, welche durch Zufall auf die Insel stoßen. Diese jedoch wollten fast immer auf der Insel bleiben. Lediglich „13 Leute haben im Laufe der ganz en Zeit den Entschluß gefaßt, [..] zurückzukehren“. Wenn man bedenkt, daß mit „der ganzen Zeit“ ein Zeitraum von 1900 Jahren gemeint ist, kann man die verschwindend kleine Zahl der Rückkehrer als potentielle Gefahr für die Entdeckung der Insel vernachlässigen. So bemerkt der Erzähler in „Neu-Atlantis“ dazu:
„Ihr könnt euch jedoch leicht vorstellen, daß man ihre Erzählungen nur als Traumbilder aufgefaßt haben wird.“
Sollte die Insel dennoch entdeckt und von einer fremden Macht angegriffen werden, so ist die militärische Überlegenheit Bensalems groß genug, um jeden Angriff abzuwehren. Die Seeherrschaft hat einen präventiven Charakter und ist der Grundstein zum Sieg. Pr ävention ist auch die Ursache für die militärische Forschung. Eine weiterreichende Artillerie macht jedem potentiellen Gegner den Garaus lange bevor der Gegner zu einer ernstlichen Gefahr werden kann. Auch wenn Bensalem also entdeckt werden sollte, besi tz t der Staat die Stärke seine Isolation aufrecht zu erhalten.
Neu-Atlantis kann kaum in Konflikte mit anderen Staaten hineingezogen werden. Dies ergibt sich als logische Konsequenz seiner Abgeschiedenheit. Kriege sind daher fast unmöglich geworden. Eine wesentliche Ursache für Unruhen ist somit eliminiert.
Es entfällt ein ganzer Politikbereich, nämlich der der Außenpolitik. Die Aufgaben des Staates reduzieren sich auf rein innenpolitische Angelegenheiten.
In erster Linie geht es darum das Wohl aller Menschen zu befördern, wie es König Salomona einst vorsah. Dieser Zustand wurde aber ja bereits schon zur Zeit des einstigen Königs erreicht. Das Ziel des damaligen Königs den Status Quo für alle Zeiten festzuhalten, ist in Bensalem nach wie vor das oberste Ziel. In dem Bestreben Veränderungen zu vermeiden, wird das Staatsgefüge fest zementiert. Entwicklungen sind dann weder zum Guten noch zum Schlechten möglich. Der an sich platonische Gedanke Entwicklungen zum Schlechten hin zu vermeiden, wurde von Bacon in Form der Gesetze Bensalems fest verankert. Eine Bürokratie, welche perfekt funktioniert, verwaltet alle Einrichtungen des Staates. Viele Staatsdiener sind ähnlich wie die Wissenschaftler gleichzeitig Priester . Auch ihre Doppelfunktion trägt dazu bei, daß die Gesellschaft sich nicht zum Schlechten verändern kann. Als Priester haben sie die christliche Normenordnung verinnerlicht und setzten sie als Verwaltungsangestellte in die Tat um. Macht, Weisheit und Güte wirken vereint. Von den Wissenschaftlern unterscheiden sich die Regierungsbeamten hinsichtlich ihrer Aufgaben. Ihr Anliegen ist das gute Leben zu sichern, indem sie den Staat und dessen Einrichtungen schützen. Das Bestreben der Wissenschaftler ist es das gute Leben weiter zu befördern.
Der Eingriff in das gesellschaftliche Gefüge seitens der Verwaltung oder durch die Wissenschaftler erfolgt nur selten. Der Hinweis in „Neu-Atlantis“, daß schon 12 Jahre verstrichen seien, seit ein Vater des Hauses Salomons die Stadt besucht hätte, deutet a uf die „Nachtwächter“-Funktion des Staats hin. Ähnlich dem Gouverneur und dem König, nehmen auch die Wissenschaftler gesellschaftsrelevante Veränderungen nur in Ausnahmefällen (z.B. bei der Vorhersage von Naturkatastrophen) behutsam und sorgfältig vor. Die staatlichen Aufgaben sind faktisch reduziert auf den Versuch einen Status Quo aufrechtzuerhalten.