Bacons soziologische Studien
Die Stellung der Wissenschaft zur Politik
Kommen wir nunmehr zur Verbindung der Wissenschaft mit der Politik. Jedes Handeln setzt ein Wissen um die Handlungsalternativen voraus. So ist auch ein Politiker notwendigerweise in der Pflicht sich in politischen Angelegenheiten kundig zu machen, da er ansonsten handlungsunfähig wäre. Die Wissenschaft gibt dazu das Werkzeug in der Form der Baconischen Methodenlehre. In Bezug auf die Veränderung von politischen Verhältnissen versucht Bacon dem Politiker eine Hilfestellung zu geben:„Führe die Zustände auf ihre erste Einrichtung zurück, und beobachte, worin und wodurch sie ausgeartet sind. Laß dich von beiden Zeitverhältnissen beraten; nimm vom Vergangenen, was gut daran war, und vom Heutigen, was am besten passt.“
Wieder taucht der Gedanke Bacons auf, daß sich die Dinge eher zum Schlimmeren als zum Guten hin verändern. Mit Hilfe seiner wissenschaftlicher Methoden möchte Bacon den Ursprung des Übels in der Welt entdecken. Durch eine Analyse der gesellschaftlichen Um stände werden neue Handlungsalternativen gefunden. Dem möglichen Einwand, daß seine Methoden nur für naturwissenschaftliche Gebiete gedacht wären, kommt Bacon bereits zuvor:
„Man wird wohl zweifeln, wenn auch der Einwand nicht laut wird, ob ich hier nur von der Naturphilosophie spreche, oder ob auch die übrigen Wissenschaften, die Logik, Ethik, Politik, nach meiner Methode vollendet werden sollen.“
Somit eröffnen sich der Politik neue Möglichkeiten zur Bekämpfung von Armut und Unruhen. Das neue, wissenschaftliche Instrumentarium erlaubt erstmals eine präzise Diagnose der politischen Situation. Die richtige Diagnose ist nun entscheidend wichtig um der Gesellschaft die passende Medizin zu verabreichen.
Bacon geht sogar so weit, daß er von einer „Herrschaft der Erkenntnis“ spricht:
„Aber die Herrschaft der Erkenntnis und des Wissens ist weit erhabener als die Herrschaft über den Willen, wenn er auch frei und ungebunden ist.“
Die Umwälzungen in der Wissenschaft beeinflussen daher wesentlich stärker die Politik als umgekehrt - so stellt es Bacon zumindest dar:
„Nun ist sicher ein großer Unterschied zwischen politischen und wissenschaftlichen Angelegenheiten; es droht nämlich nicht die gleiche Gefahr von einer neuen Bewegung wie von einer neuen Wahrheit“.
Eine Erneuerung der Wissenschaften ist fundamental, hingegen eine Veränderung in der Politik nur sekundär. Die Überlegung ist konsequent: Wenn neue Handlungsalternativen dem Staatsmann zur Verfügung stehen, dann kann die politische Entwicklung eines ganzen Landes anders verlaufen. Umgekehrt hat der Politiker durch Geldmittel einen nicht unerheblichen Einfluß auf die wissenschaftliche Entwicklung, insofern es die Wahl der Forschungsgebiete und der daran beteiligten Personen betrifft. Jedoch gibt es Forscher, die Wissenschaft nicht zwecks des Geldes betreiben und sich dadurch zunächst der staatlichen Einflußmöglichkeit entziehen. Es ist zwar möglich, daß der Staat versucht ungewünschte Forschung durch repressive Maßnahmen zu verhindern, aber bereits durch die Maßnahmen selbst wird dann offenkundig, daß es neben den etablierten Wissenschaften noch etwas Anderes gibt, das anscheinend der Staat als gefährlich genug einschätzt um es zu bekämpfen. Wenn nun die Neugierde ein bestimmendes Merkmal des Menschen ist (und wie es Bacon formuliert, tatsächlich eine „Herrschaft der Erkenntnis“ primär bestimmend wäre), dann kann man mit ziemlicher Sicherheit davon ausgehen, daß am Ende schließlich jeder Mensch von den neuen Dingen weiß und der Staat genau das Gegenteil von dem Beabsichtigten erreicht hat.
Der Satz „Wissen ist Macht“ reflektiert den Baconischen Gedanken nur unvollständig. Bacon mit diesen Worten zu zitieren, wäre schlicht falsch und stellt eine unzulässige Vereinfachung seines Gedankens dar. Präziser wäre es zu sagen „Wissen steuert Macht“. Die Gleichsetzung von Wissen und Macht widerspricht ganz eindeutig der Einschätzung Bacons. Am präzisesten läßt sich der Baconische Gedanke wohl durch „Wissen erlaubt und steuert die Ausübung von Macht“ ausdrücken.
Die Politik ist somit der Wissenschaft (folgt man Bacon) nachgeordnet und nicht der primäre Antrieb einer Gesellschaft. Die Politik verwaltet nur das Potential eines Staates und orientiert sich an ethischen Vorgaben, welche der christlichen Tradition entstammen. Überzogen formuliert ist der König für Bacon der oberste Verwaltungsangestellte des Landes. Er verteilt die Ressourcen des Landes unter der Berücksichtigung normativer Vorgaben. Wissen kann und soll sich in Bezug auf die Lösung gesellschaftlicher Probleme in Gesetzen niederschlagen. Wenn Bacons Annahme, daß Unruhen durch eine gerechtere (im Sinne von anderen) Landverteilung vermieden werden können, ist es möglich, dem durch eine entsprechende Gesetzgebung Rechnung zu tragen. Ähnliches gilt für die Erhebung von Steuern durch den Staat. Werden die Abgabenlasten zu hoch, entstehen Unruhen. Diese Überlegung hatte Bacon ja mit veranlaßt das Begehren von Elisabeth I. zur Eintreibung neuer Steuern zu kritisieren.
Gesetze können ganz offensichtlich den Wissensstand einer Gesellschaft in mancher Hinsicht reflektieren; man denke nur z.B. an Hygienegesetze im Handel und in der Industrie. Bestimmte Handlungen werden ausgeschlossen, andere hingegen unterstützt.
Angewandte Sozialwissenschaften
Wie im vorigen Kapitel angeführt, ist es wichtig die gesellschaftlichen Zustände eines Landes richtig zu diagnostizieren. Zu diesem Zweck bedient sich Bacon eines „Civil Knowledges“, welches eine ausdifferenzierte Form von Wissen in Bezug auf die Gesellschaft darstellt:„This knowledge hath three parts, according to the three summary actions of society; which are conversation, negotiation, and government. For man seeketh in society comfort, use, and protection: and they be three wisdoms of divers natures, which do often s ever: wisdom of behaviour, wisdom of business, and wisdom of state.“
Das „Civil Knowledge“ ist wichtig um die Geschehnisse in einer Gesellschaft richtig einzuordnen und ist notwendig um regieren zu können.
Die drei Kategorien von Wissen lassen sich wie folgt definieren:
- „wisdom of behaviour“ beschreibt wie die Menschen in einer Gesellschaft miteinander umgehen und sich verbal wie non-verbal miteinander verständigen. Bacon bezeichnet die praktische Umsetzung dieses Wissens als „conversation“. Er erklärt darüber hinaus, welches das geeignete Verhalten ist, um sich in die Gesellschaft einzufügen. In erster Linie geht es Bacon dabei um ein diplomatisches Verhalten, welches sich dadurch auszeichnet, daß man seinen Gegenüber nicht brüskiert, sondern ihm nach Möglichkeit schmeichelt.
- „wisdom of business“ wird dem Begriff „negotiation“ zur Seite gestellt. Ganz eindeutig sind „Verhandlungen“ ein Kernstück des „Handels“ überhaupt. Im Deutschen wird der Zusammenhang schon durch die Wortstämme deutlich. Durch Verhandlungen werden Probleme auch in der Gesellschaft bereinigt. Das „wisdom of business“ ist, wie der Name schon vermuten läßt, bestimmend für das Geschäftsleben.
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„wisdom of state“ wird von Bacon mit voller Absicht nur unvollständig beschrieben. Der Grund liegt darin, daß das Wissen zum Regieren (government) zu Bacons Zeit immer noch als Geheimwissenschaft galt. Es ist durchaus verständlich, daß sich Bacon ganz im S inne des „wisdom of conversation“ zu seinen Lebzeiten nur indirekt und äußerst vorsichtig dazu geäußert hat. So schreibt er an anderer Stelle:
„Concerning government, it is part of knowledge secret and retired in both these respects in which things are deemed secret; for some things are secret because they are hard to know, and some because they are not fit to utter.“
Er unterscheidet Privatrecht (“private right“) und öffentliches Recht (“public right“). Das Privatrecht behandelt die Besitzverhältnisse oder wie Bacon es ausdrückt das „meum and tuum“. Sein Augenmerk gilt hingegen dem öffentlichen Recht. In diesem Zusammenhang wagt er auch tatsächlich das königliche Rechtssystem andeutungsweise zu kritisieren, denn er sagt:
„And for your Majesty´s laws of England, I could say much of their dignity, and somewhat of their defect;“
Berücksichtigt man Bacons sonst sehr zurückhaltende Formulierungsweise, dann will uns diese Passage sehr viel mehr sagen. Bacon denkt, daß es möglich ist bessere Gesetze zu machen. Der Hinweis auf existierende Defizite in den geltenden Gesetzen zeigt, wie sehr unzufrieden Bacon mit der Situation ist.
Bacons Analyse der Struktur des Staates
Der Aufbau der existierenden Gesellschaft
Für Bacon ist es als englischen Staatsmann natürlich selbstverständlich das eigene Land einer Untersuchung zu unterziehen. So stellt Bacon seine Sicht auf die Gesellschaft fragmentarisch in verschiedenen Schriften dar. Er stellt fest: Die Gesellschaft ist eine Ständeordnung. An der Spitze steht der Herrscher. In einer Monarchie und im Falle Englands ist es der König, bzw. war es die Königin. Der König hat zwar alle Macht, doch ihm bleibt nichts mehr zu erstreben, da er ja schon alles besitzt. So erscheint Bacon das Amt eines Königs als eine ziemlich undankbare, wenn auch ungemein wichtige Aufgabe. Die vordringlichste Aufgabe des Königs ist es für Ruhe und Ordnung zu sorgen. Notwendig ist es dazu die verschiedenen Stände in einer Balance der ausgewogenen Stärke zueinander zu halten. Wird eine Gruppe zu stark, so ist die Ruhe im Land gefährdet. Hinsichtlich der potentiellen Gefährdung der Ruhe und der Vermeidung von Aufruhr unterscheidet Bacon die weiteren Stände:Der Adel
Die erste und vielleicht wichtigstes Hypothese Bacons in Bezug auf den Adelsstand heißt: Ohne den Adel wird eine Monarchie zur Despotie. Der Adel „dämpft die fürstliche Gewalt und lenkt das Auge des Volkes etwas vom Herrscherhause ab“ . Diese Pufferfunktion verhindert Unruhen und Aufstände, welche sich in einem Konflikt zwischen Herrscher und Volk ergeben könnten. Wird der Adelsstand zahlenmäßig zu groß, ergeben sich neue Probleme zwischen Adel und Volk. Da der Adel keine produktiven, sondern nur repräsentative oder diplomatische Tätigkeiten wahrnimmt , wird er zu einer finanziellen Belastung des Staates und es kommt zu Armut und Hunger in der einfachen Bevölkerung. Auch für den Staat ist es ungesund einen zu großen Adelsstand zu besitzen, denn:
„Staaten, welche nach Größe streben, mögen sich vorsehen, daß ihr Adel und ihre vornehmen Stände nicht zu sehr anwachsen, denn das macht den gemeinen Mann schließlich zum Knecht und verächtlichen, niedriggesinnten Haufen, der tatsächlich nur zum Arbeiten für den Adel da ist.“
Man kann diese Passage nebst anderer Hinweise als Zeichen dafür deuten, daß Bacon ein Anhänger eines starken Bürgertums war, der eher den Adel als die Monarchie abschaffen wollte.
Die Adelsschicht wird von Bacon in den damals üblichen höhen und niederen Adel unterschieden. So sehr der Herrscher den höheren Adel für die Durchsetzung seiner politischen Ziele benötigt, so sehr ist er auch durch ihn gefährdet. Der höhere Adel stellt ein e potentielle Bedrohung für den Monarchen dar, da er die Macht besitzt den Herrscher zu stürzen. Insofern muß der König auf den Adel bei seinen Entscheidungen notgedrungen besondere Rücksicht nehmen.
Der niedere Adel wirkt als Gegengewicht zum höheren Adel. Zweifelsohne sind Personen aus dem niederen Adel bestrebt in der Ständegesellschaft aufzusteigen. So findet der hohe Adel im niederen Adel seine Bedrohung. Gleichzeitig ist es vor allem der niedere Adel, welcher bei Volksunruhen „zu dämpfen“ vermag. Der niedere Adel selbst ist als potentieller Unruhestifter zu vernachlässigen. „Er mag zuweilen wohl anmaßende Reden führen, doch tut das wenig Schaden“.
Die Geistlichkeit
Auch der Stand der Geistlichen wird unterteilt in hohe Geistlichkeit (Bischöfe, bzw. Kirchenleute in ähnlicher hoher Stellung) und niedere Geistlichkeit (Pfarrer, etc.). Die hohe Geistlichkeit kann eine Bedrohung für den Frieden darstellen, sofern sie durch eine „auswärtige Macht“ unterstützt wird oder aber über die Befugnis verfügt sich selbst in das Amt einzusetzen.
Die niedere Geistlichkeit behandelt Bacon in seinen Aufsätzen nicht. Einfache Priester, welche sich nicht in die weltlichen Angelegenheiten einmischen, sind keine Bedrohung. Erst wenn sich ein Geistlicher zum Volkstribun aufschwingt, kann die Ordnung der Gesellschaft bedroht werden.
Das Volk
Zum Volk zählt Bacon die Kaufmannsklasse (Bürgertum), das gemeine Volk und den Stand der Soldaten. Letzteres als einen Stand zu bezeichnen, erscheint aus heutiger Sicht etwas seltsam. Die Soldaten waren aber im Mittelalter bis weit in die Neuzeit hinein i n Söldnerheeren organisiert und kämpften für die verschiedensten Herrscher. Ein organisiertes, großes Söldnerheer erscheint Bacon als eine Bedrohung. Hingegen kleine, verteilte Abteilungen von Söldnern sind Bacons Ansicht nach ungefährlich.
Das gemeine Volk kann nur in Ausnahmefällen für den Herrscher zur Bedrohung werden. Nur wenn das Volk einen einflußreichen, herausragenden Anführer besitzt, vermag es gegen den König und den Adel anzugehen. Vermeidet es der König hingegen dem Volk einen Anlaß für eine Aufruhr zu geben, dann ist die Gefahr vollends gebannt. Als mögliche Gründe, welche das Volk zum Aufstand anstacheln könnte, nennt Bacon die Einmischung in Religionsfragen oder Lebensgewohnheiten, sowie Hungersnöte.
Die Kaufmannsklasse verdient besondere Beachtung. Bacon vergleicht sie mit der Hauptschlagader eines menschlichen Körpers. Wird sie beschädigt, leidet der ganze Körper, bzw. stirbt der Mensch. Die Kaufmannsklasse erwirtschaftet Gewinne und sichert die finanzielle Grundlage des Staates. Eine übermäßige Besteuerung behindert den Handel mehr, als der König von den Steuern profitieren kann. So sagt Bacon:
„Die ihr auferlegten Steuern und Abgaben tun dem Einkommen des Königs selten gut, denn was er im Kleinen gewinnt, büßt er im Großen ein. Die einzelnen Steuereingänge wachsen zwar, aber das Gesamt des Handels verringert sich.“
Neben den traditionellen Ständen sieht Bacon in England noch einen anderen Stand, welcher ursprünglich zum Volk hinzugerechnet werden müßte und sich mit der Kaufmannsklasse überschneidet, jedoch in seiner Selbstdarstellung dem Stand des Adels ebenbürtig ist. So ergänzt Bacon:
„Bei der Gelegenheit darf auch der Stand nicht unerwähnt bleiben, der, soviel ich weiß, fast ausschließlich England eigentümlich ist und schwerlich irgendwo anders als vielleicht in Polen angetroffen wird: ich meine den Stand der freien Dienstleute und des Gefolges der Edelleute und Vornehmen, die hinsichtlich des Waffendienstes den Freisassen keineswegs nachstehen; demgemäß tragen Glanz und Pracht, große Gefolge und die zur Sitte gewordene außerordentliche Gastfreiheit des Adels erheblich zur Förderung der kriegerischen Stärke bei, [..]“
Aus marxistischer Sicht wird das Herausbilden dieses neuen Standes als das Entstehen der Bourgeoisie verstanden, welches von Bacon befürwortet wird. Sicherlich ist Bacon dem Großbürgertum zugetan. Gleichzeitig unterstützt er immer noch den König.
Der Staatskörper
An mehreren Textstellen verwendet Bacon das Bild von einem Staatskörper, dessen verschiedene Glieder und Organe die verschiedenen Stände und deren Aufgaben symbolisieren. Die Vorstellung den Staat wie einen organischen Körper zu betrachten, ist nicht neu. Sie findet sich bereits bei den antiken Philosophen, insbesondere in Platons „politea“ wieder. Bacon betont immer wieder, daß der Staatskörper gesund bleiben müsse und Krankheiten desselben nur über die richtige Diagnose behandelt werden könne. Der Staat wird als eine Einheit verstanden, wobei unterschiedliche Gruppen von Personen in der Form von Ständen die jeweils zugeordneten spezifischen Aufgaben zu bewältigen haben. Hier zeigt sich, daß Bacon gedanklich immer noch sehr eng dem mittelalterlichen Denken verhaftet ist. Bacon ist jedoch dabei sich von dem alten Denken zu befreien. Seine Ansicht, daß der Staat am besten durch eine Bürgerwehr zu verteidigen sei, paßt keinesfalls mit der antiken Anschauung eines gesonderten Wehrstandes zusammen.Bacon vertritt im Weiteren die etwas seltsam anmutende Ansicht, daß der Staatskörper genauso ertüchtigt werden müsse, wie ein menschlicher Körper:
„Kein Körper, weder der menschliche noch der Staatskörper, kann ohne Bewegung gesund bleiben; und für ein Königreich oder einen anderen Staatskörper ist tatsächlich ein gerechter und ehrenhafter Krieg die rechte Übung. Ein Bürgerkrieg zwar ist der Hitze eines Fiebers vergleichbar, allein ein auswärtiger Krieg gleicht der durch Leibesübung erzeugten Wärme und trägt dazu bei, den Körper gesund zu erhalten; denn Friedenszeiten verweichlichen den Geist und verderben die Sitten.“
So hängt also Bacon der mittelalterlichen Vorstellung eines gerechten Krieges nach. „Ein gerechter und ehrenhafter Krieg“ ist es auch dann, wenn präventiv ein gegnerischer Staat angegriffen wird, welcher potentiell zu einer Bedrohung werden könnte. Das Recht zum Krieg formuliert Bacon folgendermaßen:
„Es unterliegt vielmehr keinem Zweifel, daß eine begründete Furcht vor augenscheinlich drohender Gefahr, selbst wenn kein Schlag gefallen, ein rechtmäßiger Grund zum Kriege ist.“
Der Krieg hat für den Staatskörper nicht nur eine Stärkung der militärischen Fähigkeiten zur Folge, sondern er schweißt die Bürger des Landes zu einer Nation zusammen. Das antike römische Imperium erscheint Bacon als das große Vorbild, wie eine ursprünglich kleine Nation zur Großmacht werden kann.
Der Schutz des Staatskörpers hinsichtlich seiner territorialen Integrität wird am besten durch eine Seeherrschaft gewährleistet. Im Falle Großbritanniens ist diese Hypothese sehr plausibel, hatte doch die Zerschlagung der spanischen Armada gezeigt, daß zu einer möglichen Invasion eine Seeherrschaft zunächst notwendig ist. Obwohl Spanien ausreichend Truppen zu einer Invasion in den Niederlanden gesammelt hatte, konnte es diese bedingt durch seine Niederlage auf See niemals einsetzen.
Die Seeherrschaft hat noch einen weiteren Nutzen: Durch sie kann der Herrschaftsraum ausgeweitet werden, ohne daß daraus eine Gefahr für den Staatskörper erwächst. Es können gefahrlos Kolonien gegründet werden, welche wiederum helfen, den Reichtum und Wohl stand des Staates zu mehren. Der Baconische Kolonialismusgedanke darf nicht mit imperialistischen Kolonialisierungsversuchen gleichgesetzt werden. Er schreibt:
„Ich bin für Ansiedlungen auf jungfräulichem Boden, das heißt da, wo nicht erst die Bevölkerung ausgesiedelt wird, um sich woanders niederzulassen; denn das wäre eher eine Ausrottung als Pflanzung.“
Der Staatskörper ruht auf vier Grundpfeilern. Die „Grundpfeiler der Regierung“ sind die Religion, die Rechtsprechung, die Verwaltung und das Finanzwesen. Wird eine der tragenden Stützen erschüttert, gerät der ganze Staat ins Wanken. Unruhen können im Einzelnen folgendermaßen ausgelöst werden:
„Die Ursachen und Beweggründe zu Aufständen sind Neuerungen in der Religion, Steuern, Änderungen an Gesetzen und Herkommen, Entziehung von Gerechtsamen, allgemeine Unterdrückung, Beförderung unwürdiger Personen und Fremder, Hungersnot, entlassene Heere, zu r Verzweiflung getriebene Parteien und was sonst noch das aufgebrachte Volk zu gemeinschaftlicher Sache vereinigt und zusammenknüpft.“
Die materiellen Nöte sieht Bacon als bestimmend an. Nicht nur wegen ethischen Gesichtspunkten sind die „Empörungen des Magens“ zu bekämpfen, sondern weil sie ursächlich für Unruhen verantwortlich sind. Hier laufen seine politischen Ansichten mit seinen wissenschaftlichen Studien zusammen. Bekämpft man die Ursachen für die Unruhen, so bleiben die Unruhen aus - so lautet Bacons Credo.
Die Ursachen glaubt Bacon also diagnostiziert zu haben. Insofern sieht sich hier das Baconische Wissenschaftsprogramm verwirklicht. Die Kenntnisse über die Ursachen erlauben dem Staatsmann die richtigen Entscheidungen zu treffen. Die staatstragenden Funktionen der Religion, des Rechts, der Verwaltung und des Finanzwesens müssen zum Schutz des Staatskörpers stabilisiert werden.
Der Staat kann auch durch den König selbst bedroht werden. Wird eine Monarchie zur Despotie, dann ist es durchaus legitim den Tyrannen zu stürzen. Der Versuch den Tyrannen zu entthronen, sollte eine Erfolgsaussicht haben, denn:
„Eine redliche und ehrliche, sowie günstige Ursache muß vorhanden sein.“
Man kann diese Aussage als weiteres Indiz dafür nehmen, daß es
für Bacon weit weniger darauf ankommt, welche Staatsform England hat,
sondern vielmehr wie gut oder schlecht die Staatsgeschäfte geführt
werden.
Systemvergleich als angewandte Methode
Sicherlich ist es etwas überzogen von einem „Systemvergleich“ im Sinne der Politikwissenschaft bei Bacon zu sprechen. Neben England betrachtet Bacon ansatzweise auch einige andere Länder unter dem Gesichtspunkt des Wohlstandes und der Stabilität ihrer Gesellschaftssysteme. Er kommt zu dem Ergebnis, daß eine stabile Gesellschaft und ein wirtschaftlich gesunder Staat sich auch anders konstruieren läßt als über eine Ständegesellschaft. Als Vorbild dient ihm die Schweiz und die Niederlande:„Wir sehen, daß die Schweizer trefflich bestehen, ungeachtet der Verschiedenheit ihrer Religionen und Kantone; denn ihr Band ist der gemeinsame Nutzen und nicht Würden. Die Vereinigten Staaten der Niederlande erfreuen sich einer vorzüglichen Regierung; den n wo Gleichheit herrscht, werden die beratenden Versammlungen unparteiischer geführt.“
Unter der Berücksichtigung der obigen Textpassagen läßt sich Bacon daher kaum als treuer Royalist bezeichnen, wie er bei Gooch dargestellt wird. Schon eher könnte man Bacon als einen simplen Opportunisten sehen, der sich lieber auf der Gewinner- als auf d er Verliererseite eines politischen Systems wiederfinden möchte. Interessant ist wie Bacon die „Gleichheit“ der Bürger einschätzt. Sie ist eine kausale Notwendigkeit um für Sachprobleme eine bessere Lösung zu finden. Es geht Bacon dabei nicht nur um eine rechtliche Gleichheit. Er verweist darauf, daß eine ökonomische Gleichheit das Wohl des ganzen Staates befördert:
„Ein Reich aber blüht stets desto mehr, je gleichmäßiger das Geld verteilt ist.“
Die ökonomische Gleichheit wird durch die rechtliche Gleichheit ermöglicht. Mit den Niederlanden und der Schweiz führt Bacon Beispiele an, welche sich in beiderlei Hinsicht von den anderen Nationalstaaten Europas abheben. Beide Gesellschaften sind Konsensgesellschaften, d.h. sie verfügen über Versammlungen, welche versuchen möglichst weitgehend Übereinstimmung in politischen Fragen zu schaffen.
Die Art und Weise wie Bacon Vor- und Nachteile der politischen Systeme gegenüberstellt, entspricht seiner Wissenschaftskonzeption. Er versucht kausale Zusammenhänge in der Geschichte der verschiedenen Länder zu identifizieren. Alle Betrachtungen finden unter funktionalen und nutzenorientierten Gesichtspunkten statt.
Die Anspielungen auf die Schweiz und die Niederlande zeigen, daß Bacon einen besser funktionierenden Staat als die existierende Monarchie Englands für möglich gehalten hat. Seine Überlegungen gipfeln in den utopischen Roman „Neu-Atlantis“, welcher von ihm 1624 - 2 Jahre vor seinem Tod - verfaßt wurde.